Alexander Wolf - Der Floh (russlanddeutsche Autoren stellen sich vor am 16. März)

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Alexander Wolf (1862-1921)

Der Floh

Voll Andacht saß ich am Altar
 und lauschte mit der Gläubigen Schar,
 das Wort ergriff mich innerlich,
 und ich wollt schon bekehren mich.

Wie sah ich da so sonnenklar,
welch großer Sünder ich doch war!
Ich wollte schon mit schiefem Mund
vor Reue heulen wie ein Hund.

Da stach ein Floh mich ganz gemein
und heimlich an dem linken Bein.
ich juckte bisschen hin und her
und tat, als sei's von ungefähr.

Drauf samml ich wieder meinen Sinn
und richt ihn auf den Pastor hin.
Doch da sticht mich der Floh so sehr,
dass ich mich ritterlich nun wehr.
 
Doch treib ich ihn von hier auch fort,
so sticht der Schweinpelz mich jetzt dort!
Ich juck und kratz und fluch dabei
und mit der Andacht ist's vorbei.

Ich hör den Pastor gar nicht mehr.
Ich fluch und kratze hin und her.
Ach, hätt ich dich, verfluchtes Tier,
ich machte einen Brei aus dir!

Der Satansfloh biss hier und dort
und setzte seine Hetze fort,
und alle Gläubigen im Nu
sahn höchst gespannt dem Kampfe zu.

Doch der verfluchte Floh entkam,
der mir die ganze Andacht nahm.
Hätt er gebissen nicht mein Bein,
vielleicht war jetzt der Himmel mein.

Nun ist mein Seelenhell vertan.
Der dumme Floh ist schuld daran,
dass ich zur Hölle fahren muss,
weil er mich biss in meinen Fuß.

WoLF, Alexander, 17.4.1862 Saratow an der Wolga - Februar 1921, Lyriker und Pädagoge. Aus einer Arbeiterfamilie, früh verwaist, nach dem Lehrerexamen 42 Jahre Lehrtätigkeit in den Wolgadörfern (besonders lange in Köppental). Schrieb Gedichte, Fabeln und Sketche sarkastischen Charakters schon vor der Oktoberrevolution 1917, z. B. „Kaiser, Pfaffe und Kulak" (1916), „Der Floh", „Der Maler und die Bäuerin" u. a. Manche Texte verfasste er im Wolgadeutschen Dialekt, z. B. „Der Michel und der Hansjörg" u. a.