Aleyna Özyurt - Eine lange Reise (Jugendliche melden sich zu Wort)

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Eine lange Reise

Syrien, 25.03.2016, 5 Uhr morgens. Ein lauter Knall weckte mich aus meinem Schlaf auf. Ich rannte sofort mit meiner kleinen Tochter nach draußen. Es waren Terroristen, die unser Land vernichten wollten. Schon seit Monaten herrschte in meinem Land Terror. Mittlerweile konnten wir nicht mehr in Ruhe schlafen. Und ein richtiges Haus hatten wir auch nicht mehr. Alles war zerstört. Unser Alltag war von den Angriffen be-stimmt. Mein Mann ist bei einem dieser Angriffe erschossen worden. Ich war ganz auf mich allein gestellt und musste auf unser drei Jahre altes Kind aufpassen. Ich hatte keine andere Wahl, als von dort zu flüchten. Also beschloss ich, mit meinem Kind weit weg ein neues Leben zu beginnen. Ohne die Angst zu sterben. Ich packte nur die Sachen, die mir wichtig sind, und ließ meine Erinnerungen hinter mir. Es war ein langer Weg. Ich hat-te Angst davor, es nicht schaffen zu können. Aber ich musste es für die Zukunft meiner Tochter tun.
Wir fuhren mit dem Schiff nach Griechenland und kamen nach einem sehr langen Fußmarsch im strömenden Regen an der Grenze von Deutschland an. Ich konnte einfach nicht mehr laufen und war außer Puste. Aber es freute mich, dass ich endlich mein Ziel erreicht hatte. Ein langes und erfolgreiches Leben wartete auf uns. Wir wurden mit großen Bussen abgeholt und sind nach Berlin gefahren, wo wir dann in Turnhallen unterge-bracht wurden. Ich war voller Hoffnung, dass ich arbeiten und ein normales Leben wie alle anderen führen würde. Doch schon als wir aus dem Bus ausstiegen, spürte ich die bemitleidenswerten Bli-cke auf mir. Ich habe mich ein wenig seltsam gefühlt, mir aber keine Gedanken mehr darüber gemacht. Es war nicht einfach, mich an mein neues Leben zu gewöhnen. Es war jeden Tag dasselbe. Ich verbrachte meine Zeit nur in der Turnhalle, da ich mich nicht in Berlin auskannte.
Dann beschloss ich doch, mir einen Job zu suchen, und ging dort zum ersten Mal nach draußen. Und mit meinem ersten Schritt nach draußen bemerkte ich, wie anders es in dieser Großstadt ist. Und anscheinend war ich auch für die einheimischen Bürger sehr anders. Schon wieder diese abwertenden Blicke. Ich fühlte mich auf einmal sehr unwohl, wollte mich aber nicht einschüchtern lassen. Auf einmal hörte ich einen jungen Mann rufen: „Beachte gefälligst deine Grenzen hier. Sonst kommst du in den Knast!“ Schlimmer kann mein Tag einfach nicht werden, dachte ich. Ich ging zu einem Jobcenter. Dort wartete ich erst einmal eine Stunde, bis ich endlich drankam. Ich hatte große Schwierigkeiten, mich zu verständigen. Mir sagte der Angestellte, dass ich ohne Deutschkenntnisse und schulische Ausbildung keine Chance auf einen Beruf hätte. Ich müsste zuerst hart arbeiten und die deutsche Sprache lernen, um eine Chance auf einen anständigen Beruf zu haben und mich integrieren zu können. Ich stieß an die Grenzen meiner Träume. Ich hatte einen langen Weg vor mir. Es war doch nicht alles so, wie ich es mir erhofft hatte.

Aleyna Özyurt (18 Jahre)