Aleyna Pamuksuz - Und noch eine Flüchtlingsgeschichte zu viel (Jugendliche melden sich zu Wort)

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Und noch eine Flüchtlingsgeschichte zu viel

Für manchen mag das hier vorkommen wie eine Geschichte, die für ein Buchprojekt geschrieben wurde. Ich selbst wünschte wirklich, der Hintergrund dieser Geschichte wäre frei erfunden. Je-doch entsprechen alle diese Wörter, all diese Zeilen, der Wirklichkeit.
Ich möchte, dass die Menschen anfangen zu ver-stehen. Dass sie eine Art Empathie empfinden. Ich möchte, dass alle die, die mir gerade zuhören, die das hier lesen, für einen Moment die Augen schließen …

Ich heiße Amar und mein Leben hängt von einer Grenze ab. Von einer Grenze, die uns allen Sicherheit gewähren könnte. Ich bin nur eines von Tau-senden Flüchtlingskindern, das gehört werden möchte. Ich fliehe, wie auch so viele andere Menschen, vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Die Straßen, auf denen ich einst gelebt habe, sind nicht mehr sicher genug. Nicht mehr sicher genug, um dort zu leben!
Könnt ihr euch das vorstellen? Die Stadt, in der du wohnst, ist nicht mehr bewohnbar. Das Haus, in dem ihr wohnt, nur noch Überbleibsel einer Ruine. Stellt euch vor, alles wäre zertrümmert und zer-stört. Es gäbe kein Zuhause mehr, in das ihr so schnell wie möglich hinein flüchtet, falls ihr Angst vor der Dunkelheit habt. Es gibt nur noch die Flucht in eine große unbekannte Welt.
Die Hälfte meiner Familie ist tot, die andere hoffnungslos verzweifelt. Ich möchte doch nur ein sicheres Zuhause. Weit entfernt vom Krieg. Ich möchte die schreienden Menschenmassen verges-sen. Ich möchte die dröhnenden Geräusche der Kriegsflugzeuge aus dem Kopf verbannen. Ich möchte die Angst, jeden Moment sterben zu kön-nen, mal vergessen.
Der Krieg veranlasste uns zur Flucht, und damit kam die nächste Frage: Wohin? Viele Leute, die wir kennen, sind in unsere Nachbarländer geflohen. Meine Eltern wollten jedoch ein Ziel, das weiter weg war und sicherer. Europa. Wir wagten uns auf die lange, gefährliche Reise nach Deutschland.
Während der Flucht mit meinen Eltern und mei-nen zwei Brüdern plagte uns der Hunger. Die Müdigkeit drückte auf unsere Knochen, Früher hatte ich nie irgendwo anders geschlafen als zu Hause, und heute übernachten wir jede Nacht woanders.
Trotz aller Gefahren und mit Allahs Hilfe war es nicht mehr weit. Ein paar Schritte noch bis zur Sicherheit. Doch da kamen die Fragen: Kann über-haupt jemand so viele Flüchtlinge aufnehmen? Überschreitet das nicht die Grenzen? Ich, ein zehnjähriger Junge, kämpfe jeden Tag ums Über-leben und die erzählen mir was von einer Grenze! Ich konnte nur noch lachen über unsere Lage. So frustrierend, so verzweifelt und lächerlich war das hier.
Mein Volk und ich, wir kommen nicht nach Deutschland, um einen schönen Urlaub zu machen! Ich möchte nicht von Deutschland Geld, einen Arbeitsplatz oder sonst etwas. Ich möchte endlich wieder aufatmen können, Frieden spüren. Auch wenn nur für eine kurze Zeit. Ich fühle mich ungewollt und verstoßen.
Ein Kind, das aus seiner Heimat verdrängt wurde und von anderen Ländern nicht aufgenommen wurde.
Ein Kind, das nur einen einzigen Wunsch hat: Si-cher leben.

Und jetzt könnt ihr wieder eure Augen öffnen.

Aleyna Pamuksuz (15 Jahre)