Florian Stadie - Ich bin der glücklichste Mensch der Welt

Hördatei: 

Ich bin der glücklichste Mensch der Welt

Ich sitze in meinem Zimmer, schaue aus dem Fenster

und sehe dem Regen zu, der unaufhörlich vor die Fensterscheibe schlägt.

Eine Zeit lang beobachte ich die sich wiederholenden Regenbahnen,

die am Fenster herunterlaufen, um dann im Nichts zu verschwinden.

So, wie meine Gedanken im Nichts verschwinden sollten.

Das dumpfe Geräusch der Regentropfen, welches ab und zu durch den peitschenden Wind in seiner Monotonie unterbrochen wird,

trägt nicht gerade zu einer gehobenen Stimmung bei.

Ein Gefühl der Leere bemächtigt sich meiner und lässt mich schwer und träge werden.

Meine Gedanken kreisen und wandern in letzter Zeit immer öfter in die falsche Richtung.

Ich will Spaß haben und mir keinesfalls philosophische Gedanken über den Sinn des Lebens machen.

Mein bisheriger Lebensstil lässt mir keine Zeit zum Luftholen, geschweige denn zum Nachdenken, doch jetzt hier und in meinem Zimmer holt mich die Zeit ein.

Die Zeit, die ich für mich habe und die mir große Angst macht.

Klar, heute in der Schule ist nicht alles so gelaufen, wie es laufen sollte.

Habe eine 4 geschrieben, aber so richtig ärgern kann ich mich darüber nicht.

Es ist mir schlicht egal.

Kann mir doch nicht durch eine schlechte Schulnote die Stimmung verderben lassen,

so weit kommt es noch. Hab doch schließlich einen Ruf zu verlieren.

In einer halben Stunde kommen meine Freunde,

die sind immer gut drauf und für die bin ich der King.

Mit mir kommt Stimmung auf.

In letzter Zeit fühle ich mich manchmal jedoch so wie jetzt.

Richtig merkwürdig.

Immer wieder sage ich mir: "Ich bin cool und der glücklichste Mensch der Welt!"

Dann höre ich meinen Song und mir geht es besser.

Wenn meine Freunde da sind, bin ich wieder der Alte.

Doch immer weniger funktioniert dieser Trick.

Die Traurigkeit und das Gefühl des Verlassenseins lassen sich nicht so leicht abschütteln, wie das kleine Hunde können, wenn sie aus dem Wasser kommen und sich mit ihrem ganzen Körper schütteln.

Immer und immer wieder habe ich versucht, mich mit meinem ganzen Körper zu schütteln

und mich zu wehren.

Diese Gefühle kann ich nicht gebrauchen.

Sie passen nicht zu mir!

Ich bin das nicht!

Haut endlich ab!

Mein verstecktes Selbst brodelt wie ein Vulkan in mir, kurz vor dem Ausbruch, und versucht langsam aber stetig an die Oberfläche zu gelangen.

Doch das lasse ich nicht zu - auf gar keinen Fall!

Ich will nicht von diesen Gefühlen vergiftet werden!

Leben bedeutet Spaß und nicht Grübeln, Traurigkeit oder was auch immer.

Es fällt mir leider immer schwerer, die Rolle, die ich für mich ausgesucht habe, perfekt zu spielen.

Denn ich habe genug damit zu tun, mein verstecktes Ich zu bändigen.

Es soll ja keiner Verdacht schöpfen, dass ich zwei Seiten habe.

Dies würde meine Clique nicht verstehen und ich wäre der Spielverderber.

Als wir letztens mit der Clique unterwegs waren,

lief im Radio ein Lied von Herbert Grönemeyer - 'Du fehlst'.

Die anderen lachten und gröhlten über die Schnulze, doch ich hatte Mühe, das Monster in mir zu bändigen.

In mir brodelten heiße, trockene, ungeweinte Tränen, die mich fast zum Zerplatzen brachten

und mir die Luft zum Atmen nahmen.

Ein schwerer Stein lag in meiner Magengruppe und ich konnte nur noch denken: "Papa, du fehlst."

Mit meiner ganzen Kraft schaffte ich es, die Herrschaft über mich und meine Gefühle zurückzugewinnen und im allerletzten Augenblick ein Grinsen auf mein Gesicht zu zaubern.

Das war knapp, aber geschafft.

Es klingelt.

Meine Gedanken waren abgeschweift.

Ich fahre mir mit den Händen durchs Gesicht und gehe zur Tür, um zu öffnen.

Wie immer, ganz der Alte.