Frauke Tuttlies - Vater (aus 'n Groschen Roman)

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VATER

Ich dachte, das kann nicht sein, dass ich arm bin,
hier läuft `n Film.

Mein Alter sprach zig Sprachen,
war überall auf der Welt,
wenn du mit dem irgendwohin gingst,
dann hielt der `ne ganze Kneipe frei,
`nen ganzes Restaurant.
Der hat viel Geld verdient für damalige Verhältnisse.
Er war Schiffssteward, das hab ich von ihm,
diese Sehnsucht nach dem Meer.
In meiner Vorstellung
riecht mein Vater immer nach Salz, nach Algen,
so `n sentimentaler Quatsch,
wahrscheinlich stank der nach Alk,
so wie der gesoffen hat.
Aber er sah gut aus. Immer gepflegt.
Der hatte Klamotten an, das glaubst du nich`.
Mein Vater lief mit weißen Anzügen in Hamburg rum,
der hatte Melone, der hatte Nadelstreifen,
das hatte keiner.

Deshalb hab` ich gedacht, der verarscht mich nur.

Der will einfach wissen, ob ich damit klarkomme,
in Wirklichkeit ist das ein Prinz,
und eines Tages kommt der rein und sagt,
Bernd, du hast die Prüfung bestanden, so,
und jetzt fahren wir mal nach Hause,
in unser wirkliches Zuhause,
nicht die Bude, in der wir lebten.
Wenn der bei uns reinkam,
das muss ja eigentlich auch für den
ein Schock gewesen sein,
weil das war `ne Hütte, alles abgelatscht.
Überall der Kuckuck drauf, war schon scheiße.

Aber wir haben von seinem Reichtum
ja auch nichts abgekriegt.
Wenn der vom Schiff kam, wo er Steward war,
brauchte mein Vater 36 Stunden,
dann war die Kohle weg, und das war richtig Geld.
Kein Wunder, dass alle den Lord Kack nannten,
mein Vater war `n elitäres Arschloch,
ich meine, die Kinder sitzen zu Hause,
nichts zu fressen,
und er rennt in der Welt rum, kennt Gott und die Welt,
und das im weißen Anzug,
da hat noch keiner weiße Anzüge getragen,
außer in den Tropen.

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