Karla Ramirez - Wieder ein neues Leben (Jugendliche melden sich zu Wort)

Hördatei: 

Wieder ein neues Leben

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. OK. Ich wuchs mit meinen
Eltern und meinem gro-ßen Bruder in Essen auf. Ich fühlte mich dort
sehr wohl, und mein Bruder unterstützte mich da, wo ich ihn brauchte.
Na ja, bis sich mein Leben vollkommen auf den Kopf stellte.
Der Albtraum fing damit an, dass mich meine Mutter mitten in der Nacht
weckte. Sie war sehr aufgebracht und packte einen Koffer. Ich war
damals fünf Jahre alt und verstand noch nicht so wirklich, was in der
Nacht zwischen meinen Eltern vorgefallen war. Verschlafen zerrte meine
Mutter mich ins Auto, und wir fuhren zu einem ihrer Arbeitskollegen.
Meinen Vater und meinen Bruder sah ich fast eine gan-ze Woche nicht.
Und dann kam noch dazu, dass wir zu einem Mann ziehen sollten, den ich
noch nie zuvor gesehen hatte. Er war ungepflegt, dick und stank nach
Bier und Rasierwasser. Er hatte eine arrogante kleine Tochter, die nie
mit mir reden wollte und immer zickig zu mir war. Als ich erfuhr, dass
sich meine Eltern wirklich trennen wollten, zerbrach meine Welt, und
ich fühlte mich allein gelassen. Ich wollte so gerne aus diesem
Albtraum aufwachen!
Wenige Monate später zogen wir in ein kleines Dorf, das Heiden hieß.
Dort ging ich zwei Jahre lang zur Grundschule. Ich wurde von nieman-dem
akzeptiert und hatte immer Pech. Bis ich dort auf die Hauptschule kam
und Jessica kennen lernte. Sie verstand mich, und mit ihr konnte ich
mich über alles unterhalten. Wir wurden beste Freunde. Zu Hause wurde
die Lage aber nicht besser. Meine Mutter und ihr Freund stritten sich
und ließen dies an uns aus. Dadurch fühlte ich mich noch schlechter und
zog mich immer mehr zurück.
Nach acht Jahren gab es wieder Hoffnung für mich. Meine Eltern trafen
sich heimlich wieder, und die Lage zu Hause wurde besser. Drei Mo-nate
später trennte sich meine Mutter von ih-rem Freund und kam wieder mit
meinem Vater zusammen. Darüber war ich sehr glücklich, und so wurde ich
wieder offener zu anderen. Aber als ich erfuhr, dass wir wieder zurück
nach Es-sen ziehen wollten und ich Jessica zurücklassen sollte, drohte
meine Welt erneut zu zerbrechen. Der Albtraum kam zu mir zurück. Ich
wollte abhauen und immer bei Jessica bleiben. Nie mehr umziehen wollte
ich! Aber es half nichts. Ich musste mit und wieder ein neues Leben
anfangen. Inzwischen lebe ich wieder mit meiner Familie in Essen, bin
in der neunten Klasse und habe neue Freunde gefunden. Jetzt hab ich
endlich das Gefühl, aus meinem Traum erwacht zu sein, und schreite mit
erhobenem Kopf ins Licht.