Kim Weißer: Der Sender (Jugendliche melden sich zu Wort)

Hördatei: 

DER SENDER
Kim Weißer

Das Arbeitsamt. Agentur für Arbeit. Das war ihm eigentlich ziemlich egal.
Er saß auf dem Flur, in Plastikschalen, die sie Stühle nannten. Er
seufzte und blinzelte in die weiße Neonsonne. Gleichgültige Wolken
zogen am Fenster vorbei. Er streckte seine Beine und wartete.
Berufsvermittlungsgespräche.
Hauptschulabschluss, 1000 Bewerbungen, ein Regen von Absagen, er stand mittendrin.
Die Leute dachten doch, er könnte noch nicht einmal die Punkte dort an der Tapete zählen.
1, 2, 3, 4 ... was brachte es schon?
Also saß er da, lauschte dem Radio, der Moderator erzählte, ein neuer Film, heile Kinowelt, döste in die Musik.
Plötzlich wurde er aufgeschreckt, als ein Mann sich neben ihn setzte.
Der war vielleicht zwei Jahre älter als er selbst, so um die 20, lächelte freundlich, nickte ihm sogar zu.
Nach zwei Monaten, spätestens, würde der auch nicht mehr gerade sitzen, hübsch gemacht − ein Neuling.
„Sorry, hast du ein Taschentuch?“, fragte der Neue nun.
„Ne“, gab der andere genervt zurück.
„Schade!“, dann, „wie lange sitzt du schon hier?“
„20 Minuten. Wieso?“
„Mhm, dann bist du ja gleich dran.“
„Ich bin seit über einem Jahr gleich dran, Alter. Mich will sowieso kein Scheißbetrieb einstellen.“
„Glaubst du? Ich bekomme bald wieder eine Stelle.“
„Ach, seit wann bist du denn schon ohne Arbeit? Du hast doch keinen Plan“, pöbelte er.
„Seit 21 Monaten und zwei Wochen“, antwortete der junge Mann schnell.
„Alter, so lange? Und du glaubst, du kriegst noch ’n Job? Kannst ja zu Mecces gehen.“
„Ich werde Arbeit finden. Ich bin gut in Autos. Geschickt. Hab den
Wagen meiner Schwester wieder ans Laufen gekriegt. Ich will Arbeit
finden.“
„Wer will das nicht“, gab der Jugendliche zurück, als er durch ein schreckliches Lied im Radio unter¬brochen wurde.
„Oh Mann, ich hasse dieses Lied“, spuckte er verächtlich und fixierte
das Radio. Schweigen. Und dieses Lied. Er hasste es. Wie seine
Scheißsituation.
In diesem Moment öffnete sich eine der beiden Bürotüren und der
Berufsberater sagte: „Herr Uthermöhle, ich habe Sie schon erwartet.“
„Guten Morgen“, antwortete der junge Mann und wandte sich in Richtung der Stühle: „Viel Glück wünsche ich.“
Damit ging er ins Büro.
DER wollte einen Job finden. Der würde einen Job finden, dachte der Jugendliche.
Langsam stand er auf und ging zum Radio.
Und dann schaltete er alle Sender durch. Bis er ein Lied fand, das ihm gefiel.