Monika Littau: Weihnachten in Alphabettanien (eine Weihnachtsgeschichte für Kinder in gesprochener und gelesener Form)

Hördatei: 

Nicht nur für Kinder gibt es in diesem Jahren eineWeihnachtsgeschichte von Monika Littau, die natürlich von Alphabetta handelt.

 

Weihnachten in Alphabettanien

Emil und der Wunschbaum

Es ist der 11. Dezember. Den ganzen Tag nervt Emil schon das Schreien und Planschen vom Schwimmbad. Am liebsten würde er hingehen und den Kindern mal ordentlich Bescheid sagen. Bei dem Lärm kann sich doch kein Mensch konzentrieren! Aber dann macht er sich wohl ziemlich unbeliebt. Denn es ist total heiß, über 30 Grad bestimmt. Deshalb schließt Emil sein Fenster, schwitzt vor sich hin und versucht irgendetwas auf das Papier zu bringen.

Auch wenn es gar nicht kalt ist, der 11. Dezember ist in Alphabettanien wie überall auf der Welt kurz vor dem dritten Adventssonntag. Und das bedeutet, dass es keine zwei Wochen mehr bis Weihnachten sind. Und das wiederum bedeutet, dass man sich langsam mal darüber Gedanken machen muss, wie man Weihnachten feiern will.

Emil hat immer alle Termine im Kopf. Deshalb schreibt er schon seit ein paar Tagen an einem Weihnachtsgedicht.
Das beginnt so:

Wenn Alphabetta Plätzchen backt
Wenn Ulla viele Nüsse knackt
Wenn Mücke sich die Klampfe packt
Wenn Hilde etwas Geld  abzwackt
Und wenn ich dann schon lange dichte
Dann ist bald Weihnachten mit Fichte.

Aber Emil hat noch nicht gerochen, dass Alphabetta Plätzchen backt. Bei Ulla hat er nicht einmal Nüsse gesehen. Mücke schaukelt sich dauernd in seiner Hängematte statt Weihnachtslieder auf seiner Gitarre zu üben.
Ob die wilde Hilde-Mathilde spart, weiß er natürlich nicht. Aber an Sprit spart sie zumindest nicht. Dann dürfte sie nämlich nicht so oft mit Huschimajaschi über die Insel brausen.

Sieht ganz so aus, als ob er überhaupt der einzige ist, der an Weihnachten denkt. Und wenn das so weiter geht, dann  wird das wohl nichts mit einem gemeinsamen  Fest und mit Geschenken. Und dann sitzt er vielleicht sogar Heiligabend allein in seinem Garagenhaus und hat sein Gedicht ganz umsonst geschrieben und auswendig gelernt. Und das wäre doch zu traurig.
Da macht er sich lieber jetzt auf die Socken und erinnert vorsichtig daran, dass heute der 11. Dezember ist.  Aber so direkt kann er das natürlich nicht sagen.

Als erstes klopft er bei Alphabetta.
„Herein, wenn´s kein Mücke ist!“ ruft sie von drinnen.
Emil tritt vorsichtig ein.
„Hallo Emil“. Alphabetta ist überrascht. Dass Emil freiwillig sein Haus verlässt und sogar noch andere besucht, kommt ganz selten vor. Und deshalb ahnt Alphabetta schon, dass es irgendetwas Besonderes geben muss.
„Was gibt´s, Emil?“ fragt sie also.
Emil zuckt mit den Schultern.
„Raus mit der Sprache“, sagt Alphabetta.
„Also“, sagt Emil. „Ich dachte, ich sollte dich darauf aufmerksam machen, dass heute der 11. Dezember ist“.
„Aber das weiß ich doch“, sagt Alphabetta. „Und was bedeutet das, wenn heute der 11. Dezember ist?“

Das kann doch nicht sein, denkt Emil. Alphabetta ist doch sonst nicht so dumm. Der 11. Dezember ist 13 Tage vor Heiligabend. Aber das denkt er nur und sagt es nicht. Hinterher glaubt Alphabetta, dass er nur darauf scharf ist, von ihr ein Geschenk zu bekommen. Und das ist nicht wahr. Oder vielleicht nicht ganz wahr. Denn natürlich freut er sich über Geschenke. Aber noch mehr freut er sich, wenn Heiligabend alle zusammensitzen und essen und trinken und was erzählen.

„Das bedeutet gar nichts“, sagt Emil nun etwas trotzig und enttäuscht. „Ich dachte nur, ich sag´ s dir mal“.
„Du bist heute ja vielleicht komisch!“ rutscht es Alphabetta heraus.
Aber da ist Emil bereits auf dem Rückzug und schließt die Tür hinter sich.

Emil ist wütend auf sich. Warum ist ihm bloß nichts eingefallen, wie er Alphabetta daran erinnern kann, dass Weihnachten vor der Tür steht? Das muss er geschickter anstellen. Vielleicht sollte er einfach mal ein paar Sterne an seine Fenster kleben oder eine Kerze ins Fenster stellen, damit alle daran erinnert werden, dass bald Weihnachten ist.

*

Am nächsten Tag setzt sich Emil hin und schneidet aus gelbem Papier acht Ms aus. Die klebt er in der Mitte zusammen und fertig ist der Stern. Stolz klebt er ihn in sein kleines  Fenster.
Jetzt will er mal abwarten, was passiert.
Er sitzt im Wohnzimmer und beobachtet die Straße, ob irgendjemandem vielleicht sein schöner neuer Stern auffällt. Die Tür lässt er ausnahmsweise offen stehen, damit jeder weiß, dass er reinspazieren darf und ihn nicht beim Dichten stört.

Tatsächlich sieht er Mücke vorbeikommen.
„Tolle Sonne!“ ruft Mücke. „Sag bloß, die hast du selbst gebastelt aus lauter Ms. Kannst du mir auch mal machen, wenn du so gut dadrin bist. Schüüß!“, ruft er und  dann ist der Mückenschiss auch schon verschwunden.

Emil ist wütend. Seinen Stern für eine Sonne zu halten. So dumm kann Mücke doch gar nicht sein. Dieser Blödmann. Warum kommt der denn bloß nicht drauf, dass das ein Weihnachtsstern ist?
Und dann grübelt Emil, was er noch tun kann, damit die andern endlich merken, dass schon der 12. Dezember ist, also nur noch 12 Tage vor Weihnachten.

*

Den ganzen nächsten Tag ist Emil beschäftigt. Er ist nicht besonders geübt im Basteln, weil er so was sonst nicht macht. Und deshalb dauert alles ziemlich lange. Er hat sich Zweige besorgt und daraus macht er eine lange Wurst. Er legt Ast auf Ast und befestigt die Äste immer mit einem Stückchen Draht. Dann schlägt er zwei Nägel über seine Tür und hat einen wunderschönen Weihnachtskranz rund herum. Na, wenn jetzt keiner was merkt!

Er begibt sich auf seinen Lauerposten und beobachtet die Straße. Die Tür hat er wieder offen gelassen.
Auf ihrem Fahrrad kommt Ulknudel-Ulla vorbeigedüst.
Sie bremst und bleibt vor seinem Haus stehen.
„Mensch Emil, das sieht ja klasse aus. Ich wusste gar nicht, dass du so gut basteln kannst. Tolle U-Girlande. Die würde fast besser an mein Haus passen. Findest du nicht? Du willst doch nicht etwa wie ich werden?“  
„Bestimmt nicht!“, sagt Emil patzig und ist froh, dass Ulla wieder auf das Rad steigt. Blöde Kuh! Die merkt aber auch gar nichts! Emil knallt seine Tür zu.

*

Emil ist erst einmal so sauer, dass er tagelang schmollt und sich mit seinen Büchern im Haus verkriecht. Er hat die Nase voll! Dann gibt es eben kein Weihnachtsfest dieses Jahr. Sollen sie doch alle machen, was sie wollen. Dann bleibt er eben alleine in seinem Haus und liest den ganzen Heiligabend. Das tut er sowieso am liebsten. Die braucht er doch alle nicht. Die sind ja alle viel zu blöd zum Weihnachtenfeiern.

Er wendet sich wieder seinem Gedicht zu, das er eigentlich in diesem Jahr nicht braucht, und dichtet eine weitere Strophe:

Wenn ihr das Weihnachtsfest verpennt,
Weil ihr nicht mal das Datum kennt,
Dann seid ihr doof alle zusammen
Müsst wohl aus Doofenhausen stammen.

Emil freut sich diebisch. Das hier ist ein prima Vers. Den haben sie verdient. Am besten er schreibt ihn ganz groß auf und hängt ihn an seine Tür. Dann werden sie sich ärgern. Und nicht nur er muss sich immer ärgern.

Die Freude hält aber nur kurze Zeit an. Dann hat er das klamme Gefühl, dass er Weihnachten sehr traurig sein wird, wenn er hier allein in seinem Garagenhaus sitzt. Selbst wenn er ein lustiges Buch liest, bei dem er sonst immer lachen muss.
Vor lauter Frust geht er schlafen. Morgen ist ein neuer Tag. Vielleicht sieht da die Welt wieder ganz anders aus.

*

Von der Sonne wird er geweckt. Sein Blick fällt auf den Kalender und da erschreckt er sich. Es ist der 24. Dezember. Heute ist also der traurige Tag, an dem alle Weihnachten vergessen haben.
Aber ganz hat er noch nicht aufgegeben. Damit es auch wirklich allen auffällt, befestigt er ein Blinklicht in seinem zweiten Fenster. So eins, das mal rot und mal grün und dann wieder blau und gelb blinkt. Also eins, das wirklich nicht zu übersehen ist.

Gerade hat er den Blinker hängen, das bremst die wilde Hilde-Mathilde vor seinem Haus. „Mensch Emil! Das ist ja klasse. Wo haste den denn her?“
„Hatte ich noch vom letzten Jahr“, sagt Emil trocken. Wenn sie jetzt nichts merkt und überlegt, was im vergangenen Jahr um diese Zeit war, dann kann er wirklich nicht mehr helfen.
„Wo haste den denn gekauft? Meinste, den kann ich auf dem Gepäckträger von Huschimajaschi anbringen? Stell dir mal vor, ich düse nachts durch Alphabettanien und hinten der Blinker drauf: rot, dann grün, dann blau und gelb“.
„Das ist bestimmt verboten“, sagt Emil.
„Spielverderber“.
Die wilde Hilde-Mathilde dreht sich auf dem Absatz ihrer Motorradstiefel um und schnappt sich ihre Maschine. Huschiii und weg ist sie.

Das war´ s dann wohl. Emil richtet sich ein auf einen traurigen Tag, einen traurigen Abend und eine traurige Nacht. Mit soviel Traurigsein und Gefühl könnte man glatt ein paar Bücher füllen. Er wird sich einen leckeren Tee kochen. Er wird sich seinen Blinker ansehen und dann noch eine Kerze auf den Tisch stellen. Und dann wird er aufschreiben wie traurig das hier alles ist.
*
„Es war in dem Jahr, als alle Weihnachten vergessen hatten“, schreibt er. „Alphabetta hatte Weihnachten vergessen. Mücke hatte Weihnachten vergessen. Ulknudelulla und sogar die wilde Hilde-Mathilde hatten Weihnachten vergessen.
Der einzige, der daran gedacht hatte, war Emil, der nun traurig in seinem Häuschen saß. Er zündete sich eine Kerze an, trank ein paar Schluck Tee und erinnerte sich, wie schön es in den vergangenen Jahren gewesen war. Sie hatten Plätzchen gebacken und Nüsse geknackt und Lieder gesungen und Gedichte aufgesagt. Sie hatten einen Weihnachtspunsch getrunken.
Am schönsten war aber der Baum, an dem viele Lichter brannten und jeder seine Wünsche hängen konnte. Der Wunschbaum war eine Erfindung von Alphabetta. Nicht dass ihr mich falsch versteht. Es ging nicht darum, was jeder sich selbst wünschte. Für die Erfüllung dieser Wünsche wäre es ja auch zu spät gewesen. Jeder schrieb auf, was er dem anderen wünschte. Und Emil hatte im vergangenen Jahr vier Wünsche vom Baum bekommen:
„Ich wünsche dir, dass du dich wohl fühlst in deinem neuen Haus“, hatte einer geschrieben.
„Ich wünsche dir, dass du ein bisschen munterer wirst“, ein anderer.
„Ich wünsche dir, dass du nicht länger glauben musst, andere sind doof“, ein dritter. Und schließlich hatte jemand auf den Zettel geschrieben: „Ich wünsche dir, dass du endlich mal sagen kannst, was du dir wünschst“. Und dann stand da noch in Klammern dahinter: („Man kann ja nicht riechen, was du willst, oder?“)
*
Als Emil das aufgeschrieben hat, ist er ziemlich platt. Er soll sagen, was er sich wünscht? Mannomann! Vielleicht hätte ihm das auch früher wieder einfallen können.

Und da schließt er die Augen und sagt innen drin, ganz für sich: „Ich wünsche mir, dass wir heute Weihnachten feiern, alle zusammen!“ Und dann kneift er die Augen noch fester zu, als müsse er seinen Wunsch damit bekräftigen.

„Ho, ho“, hört er da draußen. Die Tür wird aufgerissen und Alphabetta, Mücke, Ulknudelulla und die wilde Hilde-Mathilde strecken ihre Köpfe herein. "Na sag mal, Emil. Wo bleibst du denn. Hast du etwa Weihnachten vergessen? Wir warten auf dich“.

Emil lächelt. Wie gut, dass es doch noch ein Weihnachtsfest gibt. Er schnappt sich die erste Strophe von seinem Gedicht und geht mit den anderen mit. Und als er draußen mit ihnen auf Alphabettas Haus zusteuert und drinnen den Baum stehen sah, denkt er, dass das bestimmt ein abgekartetes Spiel gewesen ist.
Damit er endlich mal sagt, was er sich wünscht.
Aber ganz ehrlich. Das ist ihm jetzt völlig egal. Hauptsache er kann Weihnachten mit den anderen feiern.