Naja Koschmieder - Mein Leben in 20 Jahren – Interview (aus dem Schreib- und Buchprojekt des Gymnasiums Lemwerder im Rahmen der 8. Berner Bücherwochen)

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Naja Koschmieder
Mein Leben in 20 Jahren – Interview

Moderator: Hallo Frau Koschmieder, ich freue mich, Sie wieder bei mir im Studio begrüßen zu dürfen nach so langer Zeit. Wie sich manche un-serer Leser bestimmt erinnern mögen, waren Sie vor 20 Jahren bereits hier und wir haben über Ihr Vorbild gesprochen.

Naja: Guten Tag. Sie können mich gerne weiter Naja wie früher nennen.

Moderator: Ok, Naja. Wie ich an mir selber sehe, sind 20 Jahre schon eine lange Zeit. Während ich immer grauer geworden bin, sind Sie eine hübsche junge Dame geworden und stehen bestimmt mitten im Leben.
Um an unser letztes Interview anzuknüpfen, ist meine erste Frage gleich auf Ihr Vorbild von damals bezogen: Haben Sie es geschafft, so zu werden wie sie? Was war Ihr Vorbild noch gleich? Wenn ich mich recht entsinne, war es Ihre Biolehrerin, oder?

Naja: Genau, mit elf Jahren haben ich mir gewünscht später einmal wie meine damalige Lehrerin Biologie zu studieren, vielleicht einen Dok-tortitel zu machen und definitiv Familie zu gründen.
Ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich diese Ziele im Großen und Ganzen erreicht habe und noch einiges mehr.

Moderator: Oh, das klingt ja wunderbar. Ich denke, dass es nicht viele gibt deren Kindheitswünsche wirklich wahr geworden sind. Können Sie mir ihr Leben einmal kurz zusammenfassen?

Naja: Na klar. Ich habe nach dem Abitur zunächst Biochemie studiert und dann meinen Doktor am Alfred-Wegener-Institut gemacht. Da bekam ich dann auch gleich eine Forschungsstelle auf Helgoland. Und da lebe ich nun mit meinem Mann, der Robben rund um Helgoland erforscht, meinen beiden Töchtern Paulina und Luna und einer ganzen Menge Fjordpferde.

Moderator: Das klingt sehr schön, auf einer Insel zu leben auf der andere Urlaub machen. Als was genau arbeiten Sie denn?

Naja: Ich bin in einer Arbeitsgruppe tätig, die für einen neuen Antrieb forscht. Der soll an den natürlichen Lebensweisen von Walen und Delfinen anknüpfen und den Wasserstoffantrieb ersetzten.

Moderator: Dann sind Sie ja sehr aktiv im Umweltschutz tätig. Das ist ja heute wichtiger denn je.

Naja: Da liegen Sie ganz richtig. Nachdem wir den Klimawandel nur ganz knapp aufhalten konnten und die Menschen endlich angefangen haben nicht nur auf sich selber zu achten, ist die Arbeit wichtiger denn je geworden. Aber sie ist natürlich auch nur möglich bei uns in der Nord-see, weil durch die Erwärmung der Meere auch Wale und Delfinen bei uns vor der Haustür leben.

Moderator: Da haben Sie recht, das ist wohl mit eine der größten Veränderungen der letzten Jahre, neben neuer Technologie und einem ganz neuen Schulkonzept. Was bekommen Sie denn davon auf Ihrer Insel so mit?

Naja: Wir fühlen uns da draußen manchmal et-was wie in der Karibik. In meiner Kindheit kannte ich Delfine immer nur von dort und, dass meine beiden Töchter damit nun aufwachsen können ist schon toll. Auf Helgoland gab es ja schon immer nur Elektroautos, mittlerweile gibt es keine mehr. Wir bewegen uns nun mit Seilbahnen vom Ober- zum Unterland, die durch die Gezeiten angetrieben werden und Lebensmit-tel werden mit der Fähre geliefert, die mit Wasserstoff fährt. Ansonsten fahren wir sehr viel Fahrrad. Aber das kennen Sie ja auch vom Fest-land. Manchmal vermisse ich die Autos auf der Insel. Zu Besuch bei meinen Eltern in Lemwerder genieße ich es immer per Autopilot fahren zu können und sogar mit Video im Auto mit meinen Freunden zu telefonieren.
Bei mir im Haus auf dem Oberland in Helgoland verzichten wir zum Teil auf die ganze Technik, aber natürlich nicht ganz. Besonders meine Kinder sind auf diese in der Schule angewiesen. Manchmal bin ich schon sehr neidisch auf sie und das Homeschooling erinnert mich immer zurück an die Corona Pandemie. Meine Kinder müssen morgens meistens erst um 9 Uhr mit der Schule und Videokonferenzen beginnen. Sie besuchen eine Schule auf dem Festland und fah-ren dann nur alle zwei Wochen rüber für Projekte und um gemeinsam Sport zu machen. Ich finde es auch klasse, dass die Schulteiljahre nun nach Themen gegliedert sind und am Ende eines Themas eine große Arbeit geschrieben wird, das hätte ich mir damals auch gewünscht. Ab 15 Uhr haben sie dann immer Freizeit und fahren meist mit meinem Mann raus auf die Nordsee zu den Robben.

Moderator: Sie meinten, dass Sie zum Teil auf die Technik verzichten und haben auch was von Tieren erzählt, hat dies etwas mit einander zu tun?

Naja: Ja, wir haben ein kleines Haus und der größte Teil unseres Grundstücks nimmt meine Fjordpferdezucht ein. Die betreibe ich nebenbei. Dabei fing alles mit meinem Pferd Joerie an, den ich mit auf die Insel genommen habe. Immer mehr Menschen halten sich mittlerweile diese Tiere, zum Teil auch als Unterstützung bei der Arbeit. Ich finde es toll, wie es wieder immer mehr Höfe gibt und die Menschen trotz der gan-zen Technik auf die Umwelt achten.

Moderator: Ganz Ihrer Meinung. Können Sie mir mal einen typischen Alltag von Ihnen beschreiben, Naja?

Naja: Mein Mann und ich stehen morgens meistens gegen 6:30 Uhr auf, ich gehe dann erstmal mit unserm Hund spazieren und füttere die Pferde. Er fährt dann immer schon raus auf die Nordsee und schaut nach seinen Schützlingen. Gegen 8 Uhr frühstücken wir dann mit Paulina und Luna. Wenn die beiden dann ihrer ersten Schulstunde per Video haben, mache ich mich mit unserem Hund auf den Weg zur Arbeit. Zwi-schen den Schulstunden schauen mein Mann oder ich dann immer mal bei unseren Kindern vorbei, aber nicht persönlich. Da kommt dann doch die Technik ins Spiel, denn das übernimmt eine künstliche Intelligenz für uns. Sollte etwas zuhause vorgefallen sein, werden wir so sofort benachrichtigt. Da ich nur halbtags arbeite, bin ich am frühen Nachmittag wieder zuhause. Das Pferdefüttern am Mittag oder Rausstellen auf die Weide hat da für mich auch schon die künstliche Intelligenz übernommen. Ich schnappe mir dann meistens Joerie und reite aus oder mache Gartenarbeit, denn so etwas würde ich nie von der Technik übernehmen lassen. Meine Kinder treffen sich am Nachmittag meistens mit Freunden von der Insel, per Hologramm mit welchen vom Festland oder sind mit meinem Mann unterwegs. Abends kochen wir zusammen und lassen den Tag zuhause ausklingen. Häufig muss ich dann später noch einmal los ins Labor, dafür nutze ich dann die Seilbahn von Helgoland um ins Unterland zu kommen oder ich spreche als Hologramm mit meiner Familie in Lemwerder und frage nach deren Tag.

Moderator: Da nutzen Sie wahrscheinlich wirklich deutlich weniger der Technik als andere. Auf was würden Sie aber dennoch nicht verzich-ten wollen oder sich wünschen, dass es weiterentwickelt wird?

Naja: Definitiv auf die Hologramme! Sie ermöglichen mir meine Eltern und Schwester zu se-hen, auch wenn Wasser zwischen uns liegt. Und diese würde ich auch gerne dazu nutzen können um vielleicht zeitweise in andere Länder reisen zu können, die Orte sollten nicht so einge-schränkt sein. Aber ich denke, das kommt bestimmt noch.

Moderator: Ich finde Ihre Einstellung insgesamt bewundernswert und bedanke mich recht herz-lich für den spannenden Einblick in Ihr Leben. Vielleicht sehen wir uns ja in weiteren 20 Jahren wieder…

Naja: Das hoffe ich doch sehr. Vielen Dank für das tolle Gespräch!