Reinhold Leis - Die Lüge und der Esel (Russlanddeutsche Autorenstellen sich vor am 29. März)

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Reinhold Leis

Die Lüge und der Esel

Die Lüge ritt auf einem Esel
durchs 'weite Land in schnellem Trab.
0 Gott, wie fies klang ihr Genäsel,
das schamlos sie zum besten gab.

Der Esel lief und lief zwar munter,
doch eines Tags sprach er: „Genug!"
und schüttelte von sich herunter
die Lüge, die auf sich er trug.

Nun lag sie kurzbeinig im Staube
und all ihr Stolz war plötzlich weg.
Da war es aus mit ihr, ich glaube,
sie liegt auch jetzt noch dort im Dreck.

Die Lüge - das ist längst bewiesen,
das steht unwiderruflich fest -
ist stets auf Esel angewiesen,
von denen sie sich tragen läßt.

LEIS, Reinhold, 13.2.1940 Hussenbach an der Wolga, Lyriker und Übersetzer. Seine Familie wurde 1941 nach Sibirien deportiert, der Vater kam bei der Zwangsarbeit ums Leben; mit 15 Jahren Schlosserlehrling und anschließend Schlosser in einer Reparaturwerkstatt für Landtechnik, dann 1962/66 Studium an der Pädagogischen Hochschule Omsk, von 1967 Dozent an der Pädagogischen Hochschule Koktschetaw (Nordkasachstan), von 1986 Zeitungsmitarbeiter in Zelinograd und Alma-Ata, seit 1992 in Deutschland (Landshut). Schreibt Gedichte, Fabeln und Märchen, übersetzt Dichter aus dem Russischen. Pflegt eine ausgefeilte Sprache und traditionelle Gedichtformen. In seinen Fabeln kritisiert er in der Äsopussprache die sozialistischen Mißstände. Bekannt ist sein Sonettenkranz „Die Muttersprache". Veröffentlichungen in Zeitungen, Almanachen und Sammelbänden und Einzelausgaben.