Zoltán Lesi – Mátyás Dunajcsik KÖRPERCHOR (Gedicht des Tages aus 'So gerade /nicht')

Hördatei: 

Zoltán Lesi – Mátyás Dunajcsik
 
KÖRPERCHOR
(Ausschnitte)
 
Das Adrenalin macht taub,
ich laufe zum Sprung an,
und vergesse kurz meinen Traum.
 
Ich schäme mich in diesem Kleid,
aber auch in dieser Hose.
 
Ich quäle mich in diesem Leib. 
 
Schlaflos liege ich auf dem Bett,
Ich schäme mich 
Ich bin flach wie ein Brett.
 
Ich quäle mich, laufe wie eine Gazelle 
und springe so hoch, 
dass die deutsche Erde
 
unter mir verschwindet. Mit stolz geschwellten Brüsten 
sprechen sie über Naziexperimente.
Ich schäme mich für ihre Lügen. 
 
Bin ich ein Junge oder ein Mädchen?
Die Ärzte haben mich überall begrapscht. 
Sie quälen mich wegen des Rätsels.
 
Ich quäle mich mit jenem Traum,
weil ich nicht beweisen konnte, daß ich eine Frau bin.
Das Adrenalin macht mich nicht taub.
 
Männlichkeit ist ein warmes Gefühl,
eine verschwitzte Augenbraue
über einem halb fertigen Lächeln,
der Geruch von Arbeitskleidung
in der Mittagspause, Arme,
die einen halten, wenn alles andere fällt.
Eine Steinschüssel, die die kochende,
sprudelnde Ursuppe einhält.
Ich will festgehalten werden,
meine Arme sind es leid,
alles alleine zusammenzuhalten.
Ich bin ein roter, elektrischer Fluss,
schwanger mit tausend Leben,
die mich verlassen und sich
Gliedmaßen und Geschlechtsorgane
wachsen lassen wollen, damit
sie sich vor Einbruch der Nacht
in ihre schlimmsten Feinde
verwandeln können.
 
Ich war aber eingentlich ein schlichtes
Mädchen. Hätte ich nicht
mit dem Sport angefangen,
wäre ich vielleicht auch eines geblieben.
Ein Polizist brachte mich zu Fall,
nachdem ich in Wien einen so hohen
Sprung geschafft hatte,
dass die Erde unter mir verschwand.
Im Knast kam ich zur Erkenntnis,
so nicht weiterleben zu können.
Sie sagten mir, ich habe Heinrich
Ratjen zu sein und eine Hose zu tragen,
genau wie Vater, sonst könne ich
mit den anderen Schwuchteln
Gräben ausheben.
 
Öffne deine Brust, brich dir
die Rippen und lass mich rein,
denn meine Körpertemperatur
reicht nicht mehr aus,
um mich am Leben zu erhalten.
Genau wie die Gläserne Frau
im Hygienisches Museum,
ist meine Haut zerbrechlich
und ich bin nur Nerven und Blut,
ohne ein Gramm Fleisch.
Wenn du versuchst, mich zu
verschlingen, werden dir
die Splitter von innen
die Kehle durchschneiden.
Frauen haben schon genug
Schmerzen im Körper. 
Männer haben den Krieg
erfunden, um das zu kompensieren.

 

 

 

 

 

 


 

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