Schwab, Manfred

 

Autorenbiographie

Manfred Schwab


Manfred Schwab, geb. 1937 in Coburg. Studium der Soziologie, Pädagogik und Literaturgeschichte in Erlangen (M. A.). Berufstätigkeit u. a. als Sozialarbeiter, Redakteur, Bildungsreferent, Dozent und Gewerkschaftsangestellter in Koblenz, Baden-Baden, Köln und Nürnberg. Langjähriges Vorstandsmitglied im bayerischen VS. Werkkreis Literatur der Arbeitswelt. Mehrere Buchveröffentlichungen, zuletzt ‚Rosen und Rosinen’ (2002) und ‚Poetisches TamTam’ (2005). Comicalbum ‚Glücksritter Wigalois’, gezeichnet von Isidre Monés (Barcelona) und Theaterstück ‚Wirnt von Gräfenberg’ (UA 2011). Auszeichnungen u. a. ‚Nürnberger Meistersinger-Brief’ (2007) und Preis des Kul-turforum Franken (2008). Lebt in Gräfenberg/Ofr. und Castel Vittorio.


 


 



Wolf Peter Schnetz:

Manfred Schwab - ein ewig junger Verwandlungskünstler
Mein erster Held war Jakob. Jakob, der mit Gott und dem Engel rang. Als 7-Jähriger wurde ich zur Bibelstunde ins evangelische Pfarrhaus geschickt. Es lag in meiner Heimatstadt Regensburg gleich um die Ecke neben dem Haus meiner Urgroßeltern, dem Zinstaghaus. Der gütig-gestrenge Pfarrer Opp erzählte in der Bibelstunde die spannende Geschichte des Mannes, der am Flüsschen Jabbok im Jordanland auf felsigem Grund eine ganze Nacht lang mit einem überirdischen Wesen, einem gottgleichen Engel, kämpfte und nicht besiegt werden konnte. Erst im Morgengrauen, beim dämmernden Tageslicht, wenn sich Götter und Engel dem menschlichen Auge entziehen, gelang es dem Himmelsboten, seinen Gegner zu bezwingen. Er siegte mit einem Trick. Der Engel stellte Jakob ein Bein. Er renkte ihm die Hüfte aus. Dennoch gab Jakob nicht auf. Er erzwang sich den göttlichen Segen. Den Segen bekam er und einen neuen Namen dazu: "Israel". Für mich war Jakob, der "Gotteskämpfer" (so die Wortbedeutung von "Is-ra-el") ein übermenschlicher Held, der mich noch heute bewegt. Heute weiß ich, dass der "Kampf mit Gott" nur ein Gleichnis ist: Ein Bild für das Ringen mit sich selbst, ein Ringen um die Selbstfindung letztlich.
Wenn Manfred Schwab an meinem inneren Auge vorbeiwandert, sehe ich ihn, wie er sich in Jakob verwandelt. Sein literarischer Weg, der einen langen Lebensweg spiegelt, ist gekennzeichnet von einem nie nachlassenden Bemühen, zu sich selbst zu finden, und sei es "nur" im "Zwiegespräch mit einer Katze": "Die Katze setzt sich vor mir auf den Schreibtisch / und sieht mich an. / Ihren schwarz schimmernden Schwanz / hat sie mit statuenhafter Anmut / um die weißen Vorderpfoten geringelt. / In ihrem Blick liegt / eine unergründliche Ironie. / Offensichtlich sucht sie Streit. ... / Mein Schweigen scheint sie so zu provozieren, / dass sie plötzlich zu sprechen beginnt. / Nicht wenige sagt sie / halten Unsereinen für eine Gottheit einige / für einen Boten der Hölle. ... / Mit gelangweilter Eleganz / kehrt sie mir den Rücken schreitet / über einen Band Szymborska-Gedichte hinweg / dreht sich eh sie durchs offene Fenster / ins Freie verschwindet / noch einmal um: Und sowas / will ein Poet sein!" Fast alles, was man über Manfred Schwab erfahren und erkunden möchte, steckt in diesem schönen Erzählgedicht: Ironie, Poesie, Bild und Botschaft ebenso wie die schelmische Liebe zu einer Katze, die vielleicht sogar einen verschwiegenen Namen hat. Nur die äußeren Daten des Poeten sind folglich noch zu ergänzen:
In Coburg, an der Grenze zu Thüringen, wurde Manfred Schwab 1937 geboren. Nach der Schulzeit begann er mit einer Elektrikerlehre. Seine Liebe zum Schreiben entdeckte er neben ersten Gedichten als Volontär bei der "Neuen Presse" in Coburg. Als Redakteur arbeitete er in Baden-Baden, Köln und Nürnberg. Er sattelte um, begann auf dem zweiten Bildungsweg ein Studium der Sozialarbeit und der Soziologie, der Pädagogik und der Neueren deutschen Literaturgeschichte an der Universität Erlangen, das er als M.A., als Magister Artium, als "Meister der Künste" abschloss. Entsprechend dem Studium verlief auch der berufliche Werdegang: Als Betreuer in einer Obdachlosen-Wohnanlage war er im harten Broterwerb gefordert. Die Arbeit führte weiter zum pädagogischen Mitarbeiter am Bildungszentrum Nürnberg/Arbeit und Leben. Er wurde Mitbegründer und langjähriger Leiter der Nürnberger "Sprachwerkstatt" im Jugendzentrum für politische Bildung, ist seit 1972 Mitglied des "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" und engagierte sich in vielfachen Initiativen bei der Gewerkschaft, bis er zuletzt selbst ein hauptberufliches Engagement bei der ÖTV - jetzt ver.di - erhielt.
Mit eigenen Veröffentlichungen begann Manfred Schwab, heute der "Nestor der Nürnberger Literaturszene" und unverzichtbare Integrationsgestalt, Ende der 70er mit dem Bändchen "Naherholungsräume" (1978). Politisch getönte Texte folgten, wie z.B. die Parodien und Satiren "Der entzauberte Froschkönig und andere Märchen vom Ende des Krieges" (1985), die Gedichte in "Geld oder Leben" (1987). Die Suche nach der Identität in einem sich ständig verändernden Lebensumfeld setzte sich fort, auch wenn der gereifte "Gewerkschafter" im ländlichen Gräfenberg mit seiner großen Familie samt Katzen und Hunden ein festes Zuhause fand. In den Folgejahren erschienen: "Landkarte mit blauen Flecken" (1996), "O Pegasus, Engel unter den Pferden" (1997) und "Letzter Fischladen vor der Autobahn" (1998). Ein geübter Spurensucher findet den "fränkischen Jakob vom River Jabbok" im Kürschner ("Kürschners Deutscher Literatur-Kalender") nur als Manfred Schwab verzeichnet, aber auch in "Ukrainischen Elegien" (1998) als "Abel Znorko" oder in der NGL-Anthologie "Fund im Sand" (2000) als "Nadina Dinta" mit abenteuerlichem Lebenslauf. Besonders pikant wird es, wenn Nadina Dinta alias Manfred Schwab über den Poeten Marsh Hodengard schreibt: "Marsh Hodengard will Hofpoet bei den Grimaldis werden." Stellen wir die durchgewürfelten Buchstaben von M.H. ein wenig um, kommt ein leibhaftiger fränkischer Autor heraus. Man muss nur ein wenig im Würfeln geübt sein, sich auf den "Engel unter den Pferden" schwingen und durch die Wolken der Poesie jagen. Dann gelangt man möglicherweise sogar als "Ritter Wirnt" - eine weitere Verwandlung - zurück ins mittelalterliche Gräfenberg. Manfred Schwab gelingt der Parforceritt mit Bravour. So haben wir Marsh Hodengard noch nicht erlebt, wie ihn Nadina Dinta vor uns enthüllt. Und auch die "Ritter-Wirnt-Spiele" haben ihren ganz eigenen Reiz. Als mir an einem kalten Novembertag Manfred Schwab im Nürnberger Rathaus mit einem Fläschchen Schlehenmet begegnete, den Kopf in einen dichten Schal gehüllt, mit dem er sich umschlungen hatte, reagierte ich spontan: "Miß Marple im Orientexpress!" Seinen listigen Verwandlungskünsten kann man viel Vergnügliches abgewinnen, solange nicht der Ernst der politischen Tages-Ereignisse den geharnischten Poeten mit der Wort-Waffe fordert. Mit dem Wort trifft er punktgenau. Es ist besser, sich nicht mit ihm anzulegen.
In jüngster Zeit tritt Liebeslyrik immer stärker in den Vordergrund. Sie ist mit schmerzlichen Erinnerungen verbunden. "Rosen und Rosinen" verstehen sich als "Lyrische Zungenküsse". Die große Liebe gehört nicht nur einem Menschen allein. Sie verwandelt und entwickelt sich wie das "Lyrische Ich", das von Gedicht zu Gedicht in immer neue Rollen schlüpft. "Man kann nie zweimal in denselben Fluss steigen", heißt es bei Heraklit. Der Fluss, die Seele, strömt weiter. Panta rhei. Alles ist Wandel.
Lebensbetrachtung und Gesellschaftskritik vermischen sich mit Poesie, Liebe, Witz und Weisheit, nicht ohne Selbstironie und einen gehörigen Schuss Erotik. Manfred Schwab hat uns viel zu sagen. In seinen Büchern ebenso wie in seinem Programm "Poetisches Tam Tam", mit dem er durch Kulturläden, Kleinkunstbühnen und Wirtssäle in Franken unterwegs ist, wenn er auf Lesereise geht: Ein jung gebliebener Verwandlungskünstler, der sich in seiner ligurischen "Casa della poesia", seinem zweiten Wohnsitz, noch lange nicht zur Ruhe setzen will.

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