Büchel, Simak: Eloe & Ellenai

Autor: 

Simak Büchel

Eloe & Ellenai

Leseprobe:

Eine Treppe führte in spiegelbehangene Tiefen hinab, aus deren Schacht Musik heraufgrollte, die Klänge einer ihm bis dato unerforschlichen Unterwelt. Stimmengewirr umfloss ihn, als er sich behutsam die Wände hinabtastete, Lichter flackerten, Töne surrten oder brummten ihm bassgewaltig zwischen den Ohren. Als Jonas um die Ecke bog, wurde ihm von zwei Männern der Weg versperrt, indem sie sich lässig vom Stein abdrückten, ihm herablassend eine Eintrittskarte verkauften und - zu seiner grenzenlosen Verwunderung - den Handrücken stempelten. Entwaffnend lächelte Jonas in die finsteren Gesichter und zuckte innerlich zusammen, als man ihm bloß tumbes Starren entgegenhielt.

Mit jedem Schritt in den blau schimmernden Club hinein, glaubte er sich Lilian zu nähern. An der Garderobe gab er Jacke und Schal ab, um eilig dem Strom der wippenden, sich im Rhythmus der Musik bewegenden Menschen nachzufolgen. Obwohl er sich der Masse anzugleichen suchte, rissen ihn die Faustschläge der Bässe immer wieder aus dem Fluss heraus. Es klang ihm in den Ohren und bald glaubte er Lilian in einer Ecke ausgemacht zu haben. Das glatte Haar, das ihr bis auf die Schulterblätter fiel, die kräftigen Wangenknochen, das markante Profil - doch, als er bis auf wenige Meter heran war, musste er sich eingestehen, getäuscht worden zu sein. Sie war es nicht! Der blond gebleichte Spitzbart entrückte die Person ins eigene Geschlecht und stieß Jonas abrupt in das Wogen zurück.

Überall hielt er nun nach Lilian Ausschau, glaubte hier die zarten Glieder ihrer Hand zu erahnen und dort das aufperlende Lachen, welches seinem eigenen so sehr glich. Augen, ihre braunen Augen sahen ihn aus einer aberwitzigen Fülle von Gesichtern an, blickten verständnislos, ohne Erkennen und wandten sich ab.
Es war wie verhext, wann immer er glaubte, sie ausgemacht zu haben, gewahrte er im letzten Augenblick seinen Irrtum, immer kurz bevor er die Hand ausstrecken wollte, um einer Wildfremden auf die Schulter zu tippen.

Sein Lächeln wurde mühsamer je mehr der Club begann, sich von Lilians Zauber zu befreien. Wo der Silberfisch zuvor bloße Kulisse für ihr Treffen gewesen war, eroberten jetzt Mauern und Decke ihre Massivität zurück. Selbst die Menschenmassen gewannen an Substanz, machten ihm das Fortkommen immer schwerer.

Noch kurz zuvor hatte all dies nur in ihrem Namen existiert, nun, da seine Hoffnung schwand, sie hier zu treffen, griffen die Menschen ihren Raum und drängten ihn unsanft beiseite.

Aus dem Schauplatz ihres zweiten Treffens wurde ein Raum, in dem sie fehlte. Das bedeutete also das Nichts - ein Fehlen im Vollen. Vom Rand der, in Schwarzlicht zuckenden, Tanzfläche linste Jonas angestrengt über die ringsherum aufstrebenden Tribünen und die Bar. Selbst im Nebenraum, wo blutwarmer, erdiger Soul gespielt wurde - schien ihr Bild zu verblassen. Ähnlichkeiten in Gesichtern schwanden entsetzlich schnell und auf dem Scheitelpunkt des Schreckens fiel er, zu allem Überfluss, auch noch aus dem Rhythmus. Um ihn her sog sich die Szenerie voll Realität und wurde echt bis in die feinsten Poren schwitzender Haut. Kajalrandige Augen wirbelten um ihn her! Bloße Schultern huschten Beinen nach. Silber bekopfte Bauchnabel fingen seine Blicke und man schob und rempelte und war. Lilian hingegen schien eine Dimension zu verlieren, um in die Zweidimensionalität des Ikonenhaften zurückzusinken. Seine Enttäuschung bettete ihr blasses Gesicht auf mattem Goldgrund.


Diese Passage wurde von Simak Büchel in einem Studio eingelesen, von dem renommierten Tiroler Literaturmagazin COGNAC & BISKOTTEN vertont und auf Vinyl gepresst (Ausgabe Nr. 20, Die literarische Schallplatte).




Pressestimmen

"Dieser Brief an ein Ungeborenes erzählt die Geschichte eines Sommers, der ersten Liebe und des Erwachsenwerdens. Jonas, ein etwas weltfremder, aber hochsensibler junger Mann, bekommt durch seine Eltern eine Lehre und ein Zimmer in "er Stadt" vermittelt. Sein Leben verläuft seitdem nicht mehr in den gewohnten Bahnen: er findet Freunde, lernt das Bonner Nachtleben kennen und verliebt sich in die rätselhafte Lilian. Gemeinsam streifen "Eloe und Ellenai", wie die beiden sich fortan nennen, durch die Innenstadt, essen Pizza am Sterntor und sonnen sich im Hofgarten. Die Begegnungen mit Lilian bestimmen vollständig Jonas' Gedankenwelt: "Wie im Zentrum eines Wirbelsturmes war es still in seinem Kopf geworden, doch um ihn her toste es und brauste es mit einer Gewaltigkeit, die jeden gehörten Satz davonriss und nur Bilder, nur Lilians Erscheinung passieren ließ." Als Lilian plötzlich ohne ein Wort verschwindet, ist die unbeschwerte Zeit für Jonas vorbei. Auf der Suche nach seiner "Ellenai" entdeckt er nicht nur ihr schreckliches Geheimnbis, sondern verliert auch seine eigene Unschuld. Büchels Sprache ist poetisch, seine Bilder sind überraschend und treffend. Der Bonner Student liefert mit deisem Briefroman ein viel versprechendes Debüt. "                 

General-Anzeiger Bonn, Sandra Domke



"Schon die ersten Zeilen des neuen Romans von Simak Büchel wecken die Neugier des Lesers, der das Buch nicht mehr aus der Hand geben will, bevor er auch die letzte Zeile gelesen hat. Denn die Geschcihte von "Eloe & Ellenai" steckt voller Rätsel und vermag bis zum Schluss zu fesseln. (...) Simak Büchel ist einer, der , anders als viele seiner Generation, die SPrachkultur noch hochhält, der intensiv beobachtet und detailgenau zu schildern versteht. (...) Alles, was er da zu Papier bringt, ist doppeldeutig und Allegorie (...) Womit denn die Liebesgeschichte eine dramatische Wende nimmt und "im Kernschatten der Sonnenfinsternis" auf ein Ende von den Ausmaßen einer griechischen Tragödie zusteuert. Dazwischen freilich führt uns der Autor, der sich einmal mehr als Romantiker erweist, in das Bonner Studentenmilieu, lässt uns teilhaben an unbeschwerten, übermütigen Zechgelagen in einer Studentenkneipe und einer Liebesnacht am Rand eines Löwenrudels, freilich eines ausgestopften im Zoologischen Museum. Und immer wieder verblüfft Simak Büchel mit seiner Fähigkeit, menschliche Gefühle nachzuempfinden und in wunderschönen Bildern zu vermitteln."

Rhein-Sieg-Rundschau, Günter Willscheid



"Lieben und doch einander fremd sein. Das Werk des 25-Jährigen ist Beziehungsdrama, Milieubeschreibung und Charakterstudie des Tierpräparators Jonas Lamparter und seiner Freundin Lilian Gogolka. Der Buchtitel bezieht sich auf die erwähnte Szene: Ein alter Mann nennt Jonas und Lilian "Eloe" und "Ellenai" - Namen von Engelsgestalten, mit denen Büchel an die Werke französischer und polnischer Autoren des 19. Jahrhunderts anknüpft. Dass der Mensch andere, fremde Wesenheiten in sich birgt, ist Grundaussage. Liebende können einander begleiten, aber nicht wirklich erkennen. Büchels Figuren existieren nebeneinander, aber nicht miteinander, zeigen sich dem anderen nur als Name und Bild - als Maskenträger, als Schauspieler ohne Drehbuch. Aussagekräftige Chiffre ist dabei Jonas' Beruf: Wer das Leben festhalten will, kann nur Teile konservieren - täuschend echt bewahrt, aber tot. Zum Kernproblem des Menschen wird der Umgang mit der Zeit: Gegenwart und Erinnerung erschweren sich gegenseitig. "Das ist unsere Last!", lässt Büchel seine Lilian sagen. "Das ist auch die Last des Sisyphos - nicht das Gewicht des Steins, sondern die Erinnerung, dass er ihn bereits oben hatte." Immer klarer wird, dass Lilian ein dunkles Geheimnis birgt - und mit der Verbindung zu seiner Freundin entgleitet Jonas die Kontrolle über sein Leben. (...) Ein Werk, das es dem Leser nicht einfach macht, das Nachdenken erfordert und belohnt. Zugleich besticht es mit phantasiereich und scharf gezeichneten Bildern und gepflegter Sprache; das düstere Grundthema wird immer wieder aufgehellt von Passagen erfrischender Selbstironie. (...) Der junge Hennefer ist ein Autor, der mehr Beachtung verdient und auf dessen weiteres Schaffen man gespannt sein darf."

General-Anzeiger, Wolfgang Pichler

Geest-Verlag

 ISBN 3-936389-49-7

208 Seiten, 10,- EUR

 

Eloe & Ellenai erzählt von einem geheimnisvollen Brief an ein ungeborenes Kind. Diesem wird darin die Geschichte seiner Eltern offenbart, die ganze Geschichte! “Kein Schatten soll auf deinem Anfang liegen. Was für Schatten ich meine? Eloes und Ellenais, den Schatten deiner Eltern.” Im Flirren der beschriebene Monate verfängt sich die Zeit einer außergewöhnlichen Liebe. Von dem zufälligen Kennenlernen handelt Eloe & Ellenai, von den heiteren Abenden im Kreis der Freunde und dem Rausch im”Ogygion”. Dem ungeborenem Kind wird berichtet, wie seine Eltern zu den zwei Bildern ihrer Beziehung kamen und wie sie ihre erste, traumsatte Liebesnacht am Rand eines Löwenrudels verbrachten. Alles Handeln und Denken strömt schießlich in jenem schicksalhaften Moment zusammen, als sich im Kern-schatten der Sonnenfinsternis etwas Unvorhergesehenes ereignet. Eloe & Ellenai ist ein Buch der Erinnerung, in welchem sich die hauchzarte Membran aus Gegenwart gleichermaßen über Schönem wie Scheußlichem spannt. Es ist eine Hommage an die wenigen Sekunden, in denen es dem Menschen möglich ist, zu handeln.
“Ja, Juli muss es gewesen sein, denn er Sommer stand da wie eine reife Frau mit straffem Busen: sie leuchtete in ihrer Sanftheit und doch war über ihrem Kopf die Luft verdichtet, als sei Transparenz geronnen. Dieser Sommer hatte eine Farbe und eine Form, doch beide bleiben sie mein Geheimnis.”