Brantsch, Ingmar: Pisastudie getürkt

Autor: 

Pisastudie getürkt

Kriminelles und Nichtkriminelles
aus der deutschen Bildungslandschaft.

Titelblatt: Marion Hallbauer
ISBN ISBN 3-86685-009-3
280 S.
12 Euro


Als Rumäniendeutscher in die Bundesrepublik übergesiedelt, erlebt Birner, die Titelfigur der Erzählungen, bereits im Studium die abenteuerlichsten Geschichten. In seiner Schullaufbahn werden die Erlebnisse mit Kollegen, Schülern und Verwaltungsbeamten, aber auch im literarischen Organisationsbereich beinahe un-fassbar. Kein Wunder, dass dem Autor als Fazit aus den Geschichten aus der deutschen Bildungslandschaft nur noch auszusagen bleibt: Die Pisastudie ist ihrer vernichtenden Kritik am deutschen Schulsystem noch getürkt.



Leseprobe

Superanekdote zur Senkung der Arbeitsmoral



Birner war als Lehrer im Abendgymnasium gelandet, wo fleißige und strebsame junge Menschen ihre Weiterbildung, meist zwecks späteren Aufstiegs zu höheren und besser bezahlten Aufgaben fortsetzten.

Birner hatte für den Deutsch-Grundkurs im Rahmen der Reihe Kurzgeschichte Bölls TextAnekdote zur Senkung der Arbeitsmoral ausgesucht. In dieser findet ein Tourist aus Westeuropas Norden einen ärmlich gekleideten Fischer aus dem westeuropäischen Süden am helllichten Arbeitstag in der Sonne Italiens dösen. Auf die beunruhigte Frage des Touristen, weshalb der Fischer nicht arbeite, entgegnete dieser, er habe an diesem Tag schon gearbeitet, sei einmal draußen fischen gewesen und habe soviel gefangen, dass er nun drei Tage davon leben könne.

Auf die nun folgende ausführliche, mit viel Begeisterung vorgetragene Belehrung des Touristen, dass, wenn er noch einige Male hinausfahren, Fische fangen und diese dann verkaufen und ein großes Netz dafür erstehen würde und später dann ein großes Boot, dann noch ein Schiff und vielleicht noch eins und noch eins und schließlich auch eine Fischfabrik besitzen und es so zu einem Großindustriellen bringen würde, meinte der Fischer bloß trocken, was er denn von all diesem Reichtum haben würde.

Dann könne er ruhig den ganzen Tag in der Sonne liegen und die Früchte seiner erfolgreichen Bemühungen geniessen, belehrte ihn weiterhin wohlwollend der Tourist.

Das würde er doch jetzt schon tun, meinte Bölls Fischer und der mit seinen Belehrungen gescheiterte Tourist sah sich genötigt, sich mit etwas Neid im Herzen zu empfehlen und von der Bildfläche zu verschwinden.

Damit war die Lektüre des Textes zu Ende. Ein verstörtes Erstaunen mit einem folgenden betretenen Schweigen war die Antwort der Klasse.

Wie Schuppen fiel es da Birner von den Augen, dass im Abendgymnasium besonders Fleißige und Leistungswillige saßen, die mit diesem, das Leistungsdenken negierenden Text natürlich nicht viel anfangen konnten.

Birner durfte nun nicht schweigen und so die Verlegenheit der Abendschüler ins Grenzenlose steigen lassen.Nehmen Sie diese Geschichte bitte nicht persönlich, war das Einzige und Schlechteste, was ihm einfiel, denn nun wurden die Blicke der Lesenden wirklich gereizt.

Was soll denn der Quatsch, meldete sich einer unwillig.

Solche Fischer gibts doch gar nicht, murrte ein anderer und half damit Birner wieder auf die Beine.

Vollkommen richtig. Bölls Fischer ist idealtypisch gesehen. Als ein Ideal von Genügsamkeit, wie der Tourist idealtypisch den fanatischen Aktivisten darstellt. Einen Extremisten. Das sind wir natürlich alle nicht, atmete Birner erleichtert auf.

Es gibt nicht nur solche Fischer nicht, ergriff der erste Meinungsmacher wieder das Wort,es gibt auch heutzutage kaum noch Fische, ist doch alles leergefischt.

Richtig, pflichtete ihm da schnell ein anderer bei.Es gibt doch nur noch kleine Fische ...

... und die Großen lässt man laufen, ergänzte der stellvertretende Klassensprecher.

Vielleicht aber, meinte ein auch sonst sehr aufmerksamer Schüler,ist es auch so,dass der Fischer in einem natürlichen Wohlstand lebt. Meer, Sonne, Strand, Fische, Gesundheit. Wir aber haben das alles nicht mehr. Wir müssen uns unseren Wohlstand selber schaffen.Damit hatte dieser Studierende, der Abteilungsleiter bei Bayer Leverkusen war, den endgültigen Durchbruch geschafft.

Ja natürlich, wenn man die Bedingungen des Fischers hätte, würde man auch so handeln. Da man die nicht habe, müsse man sich wie der Tourist verhalten, wenn auch nicht gerade so arbeitsfanatisch. Als gemäßigter Tourist müsse man durchs Leben gehen, die Natur dort genießen, wo vorhanden und dort selber schaffen, wo nicht vorhanden.

Wir von Bayer Leverkusen kriegen den naturechten Kunstbaum noch hin, wollte Birner auf der Woge dieser Ausgeglichenheit mitschwimmen, besann sich aber noch rechtzeitig, dass dies aber kein Schwimmen, sondern wieder ein Sprung ins kalte Wasser wäre und hielt lieber den Mund, umsomehr, als die meisten einiges zwar zu schlucken bereit gewesen wären, aber doch nicht alles. Böll empfanden sie fast als Mitschwein, das gerne im Dreck rumfühlt und statt den Leser für den Autor zu begeistern, hatte Birner sie dem Verfasser entfremdet.

Und wenn schon, dachte er plötzlich angeregt.Wer so denkt, der soll sich auch ärgern und Böll, der verklemmte Katholik, der immer beichtete und nie anklagte, war doch zu etwas gut. Man musste sich nur ein bisschen Mühe geben und konnte immer etwas bei ihm finden, was die Satten und die Strebenden, die Belehrenden und die Frommen aus dem Häuschen brachte.