Doch seht wir leben - Vom inneren Widerstand Zwangsarbeit 1939-1945

Autor: 

DOCH SEHT WIR LEBEN

 

Vom inneren Widerstand

Zwangsarbeit 1939 - 1945

 

Herausgegeben von Heide Rieck

 

unter Mitarbeit von

Waltraud Jachnow, Wolfhart Matthäus

  1. überarbeitete Auflage, Geest-Verlag 2008

 

ISBN 3-937844-42-2

15 Euro 

 


„Das Verlangen, Zeugnis abzulegen, wächst dennoch, als sei ich der letzte, der noch lebt und reden kann, und ich richte meine Worte gleichsam an jene, die die Sintflut, den Schwefelregen oder die Eiszeit überleben - biblische Zeiten, große, schwere Kataklysmen, Zeiten des Verstummens." Imre Kertész

„Lager bedeutet nicht nur Schlagen, Töten, durch kräfteübersteigende Arbeit allmählicher physischer Tod, ständiger Hunger, Läuse, Lager bedeutet auch ein stilles, innerliches Nein, ein gewisses Maß an Auflehnung und Aushalten, allem zum Trotz." Marian Kołodziej

In acht Sprachen liegen hier Zeugnisse inneren Widerstands aus den Baracken der Zwangsarbeiterlager vor, um zum ersten Mal in der Originalsprache und der Übersetzung ins Deutsche öffentlich vorgestellt zu werden. Als Baustein der Verneinung jeglicher Gewaltherrschaft und somit als Bekenntnis zur Menschlichkeit.

Nicht alle Lieder, Gedichte, Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Bilder entstanden zwischen 1939 und 1945. Viele danach. Manchmal kann ein Moment ein Leben lang dauern.

Nur wenige der zur Zwangsarbeit Deportierten waren Dichter, Maler oder Musiker. Dennoch formten sich in vielen innere Bilder - in jener Zeit, in der sich die Grenzen des menschlichen Daseins ins Unvorstellbare dehnten. Verse, Linien, Melodien entstanden.

Dem einen half der Glaube an Gott, dem anderen ein Spottgedicht oder das Singen von Liedern aus der Heimat. Beim Schreiben von Tagebuchnotizen und Briefen sammelte sich die Konzentration des Individuums gegen Entwürdigung und Unterdrückung. Selbst das Warten auf Post oder das Berühren eines Fotos stärkte den inneren Widerstand, sowie der Griff nach dem Säckchen mit Heimaterde, verborgen unter der Matratze, oder Zorn und Wut und die nie versiegende Hoffnung auf das Ende der Schmach, vor allem aber, wie aus unzähligen Biographien bekannt ist, die Liebe.

Der Fächer der Kräfte, die sich verneinend gegen die Herrschaft von Gewalt stemmten, spiegelt sich heute in den Zeichen derer, die versuchten, sich durch die künstlerische Form zu retten.

Die wenigen hier versammelten Werke, ausgewählt aus einer beträchtlichen Anzahl, sprechen im Namen aller, die damals gelitten haben, zu denen, die heute den Blick in die Vergangenheit nicht scheuen.

In Trauer und Ehrfurcht neige ich mich vor den Toten und vor den Frauen und Männern, deren Jugend im Schlagschatten des Hakenkreuzes zerbrach. Viel zerbrach. Ihre Würde und ihre innere Freiheit aber wussten sie zu schützen. In hohem Alter streckten sie ihre Hand zur Versöhnung aus und reichten mir Ihre Texte und Zeichnungen für dieses Buch.

Aus der persönlichen Begegnung mit Menschen aus der Ukraine - während einer Woche der Spurensuche ehemaliger Zwangsarbeiter in Bochum - wuchs der Plan zu einem gemeinsamen Buch.

Rhythmisch baut es sich mit den Stimmen aus acht Ländern in einer klaren Linie auf - von der stillen Betrachtung aus sich steigernd zu Spott und Sarkasmus, von der unabwendbaren alltäglichen Bedrängnis, von der Sehnsucht nach der Liebsten - bis hin zu dem Unvorstellbaren und Unaussprechlichen, wobei sich die Zeit der Zeit zu entheben scheint, als müsse das Thema immer wieder von einer bisher nicht gesehenen Seite betrachtet oder von einer bereits betrachteten Seite erneut aufgenommen werden.

Um die finstre Vergangenheit für eine helle Zukunft im Dialog in die Gegenwart heben zu können, wurden auch deutsche Autorinnen und Autoren um Beiträge gebeten.

Da der Gedanke „Zwangsarbeit", der Gedanke, einen anderen Menschen dem eigenen Nutzen untertan zu machen, d. h. ihn zu versklaven, ihn wie eine Sache fremdzubestimmen - im vergangenen Jahrhundert in Deutschland zu Ende gedacht - , zu Auschwitz führte, wurden entsprechende Texte aufgenommen, sowie Bilder von italienischen Künstlern aus Internierungslagern und Ausschnitte aus „Labyrinthe" von Marian Kołodziej.

Am Ende seines Lebens schuf Kołodziej ein Werk, das man „Die Apokalypse des zwanzigsten Jahrhunderts" nennen könnte, „Meine Zeichnungen entstehen aus meiner Krankheit heraus. Das Zeichnen wurde zum Lebenskampf. Ich wollte, wenn auch nur ein wenig, dieser Krankheit entrinnen."

Heute spiegelt sich Europa in der Hoffnung seiner Völker auf Frieden und Freiheit.

Vor mehr als sechzig Jahren wurde es, wie Enzo Orlanducci schrieb, in den Baracken der NS-Lager aus dem Leid einer Jugend geboren, deren innerer Widerstand die Finsternis einer kristallklaren Bestialität durchbrach.

Von ganzem Herzen danke ich den Künstlern und allen Autorinnen und Autoren, die mir ihre Bilder und Worte für dieses Buch anvertraut haben. Ich danke meinen Freundinnen und Freunden, die mir stets beratend und ermunternd zur Seite standen, den MitarbeiterInnen der Archive, die mir Auskunft gaben, Alfred Büngen, der mich bei den ersten Schritten begleitet hat, und ganz besonders Waltraud Jachnow und Wolfhart Matthäus für ihre unermüdliche Übersetzungs- und Beratertätigkeit, sowie der Gesellschaft Bochum-Donezk e.V.

Nicht zuletzt gilt mein Dank der Stiftung der Sparkasse Bochum zur Förderung von Kultur und Wissenschaft und den Bochumer Stadtwerken, durch deren finanzielle Hilfe diese Sammlung zu einem Buch werden konnte.

Heide Rieck

coverdichseht.jpg