J. Monika Walther (Hrsg.). Grenzlandschaften oder Die Wut der Schafe. Anthologie zum Koogschreiberamt 2016.

Autor: 

Grenzlandschaften

oder Die Wut der Schafe

Anthologie zum Koogschreiberamt 2016

J. Monika Walther (Hrsg.)

Geest-Verlag 2016

ISBN 978-3-86685-578-6

244 S., 11 Euro

Am Rand der Welt

Nimm dich zusammen, sagte ich auf meiner Reise vom Nordmeer zur Ostsee, durch Polen, Litauen, Lettland, Estland, nimm dich zusammen. Lächle und ziehe die Mundwinkel nach oben und halte die Augen trocken. Keine Träne wegen dieser Liebe. Keine Träne um dieses Leben. Niemand kommt dort an, wo er hin will. Höre die Worte der anderen, höre in der Ferne die Wellen. Was ist passiert?   
Ich habe ein Messer im Herz. Es könnte ein Brotmesser sein, eines mit Widerhaken. Mein Himmel ist in die Hölle gefallen. Aber der eine Blick die Himmelsleiter hinauf, über Mauer und Beton, über das Land, durch das Fensterglas. In die Höhe der Schneemützen und Wellenberge. Mir ist der Traum nicht gestorben. Jetzt gehe ich los.
Ich setze meine Füße in die Luft und sie tragen mich auf das Schiff. Ich war mehr als die vielen kleinen Schlucke aus Gläsern und Flaschen. Ich verlasse die Fluglinie Betäubung. Der Morgen ist da. Die See grau. Ich fahre ans Ende der Ostsee. Und weiß nicht wohin –
Das Ende der Erzählung, mit der ich 2012 die erste Koogschreiberin wurde. Im August 2012. Hamburg, Elbe, Blankenese und Schulau kannte ich, Kiel und Flensburg. Im Kloster Cismar war ich zweimal mit einem Stipendium. Aber das Dithmarscher Land war mir unbekannt. Die Köge am Rand der Welt und die Kohlfelder, die Salzwiesen mit ihren leise murrenden Schafen, das in der Sonne glänzende Wattenmeer. Der Himmel mit mir bisher unbekannten Wolkenbildern.
Als Erstes las ich mich durch die Geschichte des Landstrichs: so viele Kriege zwischen Dänen, Preußen, Schweden, Russen, Österreichern, so viele Grenzziehungen und Flüchtlinge. Und weiter zurück in der Geschichte: die großen Sturmfluten, die Tausende Menschen ertränkte. Das Dorf Rungholt versank in den Fluten. Aber es gab auch Zeiten, da konnten die Menschen vom Koog bis nach London laufen. Da lagen die Köge nicht am Rand der Welt.
Die meisten Menschen haben ein Messer im Herz und Sehnsüchte, die sie dazu bringen könnten, alle inneren und äußeren Grenzen zu übertreten. Was geschieht, ist eine Frage der Erziehung, der Religion und vor allem des Zustands der Zivilisation, des gesellschaft¬lichen Referenzrahmens. Von all den Blicken in die ‚Abgründe‘, Verletzungen und Grenzüberwindungen erzählen die Geschichten, die für die Ausschreibung ‚Grenzlandschaften‘ von deutschsprachigen Autoren und Schriftstellerinnen aus fünf Ländern geschrieben wurden. Es geht nicht um große Politik, von außen betrachtet, sondern wie Menschen handeln, was sie einander antun, wie sie helfen, was sie erleben, wie sie in den vielen verschiedenen Grenzlandschaften leben und vor allem, wie und ob sie neue Wege finden.
Sicher sind wir nirgends, weder im Inneren noch nach außen, schon gar nicht mit Stacheldraht um die Herzen gewickelt noch mit meterhohen Zäunen, die unseren Besitz schützen sollen. Diese Sicherheit hat es nie gegeben. Gute Zeiten für die Menschen waren immer zivilisierte Zeiten.
Den Autorinnen und Autoren danke ich als Leserin und als Herausgeberin.

Die AutorInnen und ihre Beiträge

Monika Detering    Nevermind
Ina May    SchafsWut
Daniel Mezger    Grenzgänger Oder: Wie weit man gehen muss
Gudrun Lerchbaum    Etwas Fremdes, Blumiges
Ulrike Anna Bleier    Den Linien der Raute folgen
Selma Mahlknecht    Àde
Claudia Breitsprecher    Nimm bloß keine Päckchen für die Nachbarn an
Bea Schilling    Heimat, vorübergehend zumindest …
Antje Ippensen    Wachsen
Simone Regina Adams    Weißes Wasser (Koogschreiberin 2016)
Christiane Schwarze    Andaman Trunk Road
Tony Ettlin    In der Wand
Cornelia Koepsell    Kroatische Wespen
 Christiane Höhmann    Papakind
 Lisa Mandelartz    Über die Kreuzung
Stephan Phin Spielhoff    Das Wesen ihrer
Liebe in den unbeachteten Einzelheiten von Gebrauchsgegenständen
Franziska Brunn    Im vierten Stock
Matthias Schamp    Die Seelen der toten Hunde
Barbara Peveling    Im Hotel
Roland Lampe    Nächtliche Begegnung oder Wie zwanzig Afghanen dem ehemaligen LPG-Vorsitzenden
Heiner Pokratz das Leben retteten
Melanie S. Rose    Rost
 Gerhard Benigni    GmbH – Gesellschaft mit begrenzter Humanität oder Gassigehen mit böllendem Heinrich
Petra Schröck    Rogiers Lilien
Jenny Schon    Stillleben
Kirsten Meißner Grenzländer