Sieg, Ursula: Magische Gebrauchsartikel. Gedichte. Mit einem Einleitungsgedicht von Wislawa Szymborska

Autor: 

Ursula Sieg

Magische Gebrauchsartikel

Gedichte

Mit einem Einleitungsgedicht von Wislaw Szymborska

Geest-Verlag 2011

ISBN 978-3-86685-276-1

11 Euro

 

Die in Dortmund beheimatete Autorin Ursula Sieg ist in der lyrischen Szene nun wirklich keine Unbekannte mehr. Geboren in Essen, studierte sie in Köln und Dijon, verschiedene Berufstätigkeiten, lebt seit 1991 in Dortmund, Lyrik – und Essayveröffentlichungen in Anthologien, Zeitschriften und im Internet, Organisation von Literaturveranstaltungen, zahlreiche öffentliche Lesungen, Preisträgerin der „2. Sangerhäuser Literaturtage“ (2004) und des Lyrikwettbewerbs „Notwendigkeit“ der Edition Janus (2006), zusammen mit der Dortmunder Akkordeonistin Stefanie Schulte-Hoffmann hat sie das Lyrik-Musik-Projekt „Hast Du Worte? Hast Du Töne?“ entwickelt (Premiere 2008).
Angesichts einer solchen Vita wundert es, dass die Texte dem literarischen Publikum nicht schon längst als Produktion vorliegen.
Sicherlich wählte die Autorin in ihrem eigenen Schaffen einen Weg, den man – angesichts vieler vorschnell vorgelegter Bücher – nur empfehlen kann. Sie wartete, um tatsächlich zu prüfen, welche ihrer Gedichte über die aktuelle Entstehenszeit hinaus, einem qualitativ hochwertigem Maßstab von Lyrik genügen würde, um diese Gedichte dann in einem Sammelband ihrer besten Arbeiten vorzulegen. Und dieser Schritt ist mit dem vorliegenden Band gelungen.
Die Intention ihrer literarischen Arbeit wird durch die Titelbildung bereits deutlich: Magische Gebrauchsartikel. Ursula Sieg schreibt Gedichte, die Menschen in ihren Alltag integrieren können. „Komm doch her / Zu mir ich mach uns / Einen Reim darauf“. Anders formuliert: Die Autorin versucht, dem Leser Sinnhaftes hinter dem Alltäglichen sichtbar zu machen, erfassbar zu machen. „Der Dichter / Fügt Zeichen aneinander / Er-findet einen Sinn/Hinter den Buchstaben.“
Letzendlich sind ihre Gedichte die künstlerisch-philosophische Aufgabe der Entdeckung des Sinns des Alltags, der Magie im Gebrauchsartikel, dies dazu in einer Form, die dem Menschen verständlich bleibt, soll Lyrik doch stets auch Gebrauchsartikel bleiben.
Was bedeutet das formal? Zum einen eine Präzision und Reduktion der Sprache auf das Wesentliche. Ursula Siegs Texte können hier geradezu als literarische Schulungsvorlagen gelten, denn kein überflüssiges Füllsel wird man finden, der eine Gedanke, der sich im Gedicht entfaltet, keine Wörter, die die Entfaltung des Inhalts stören würden. Die Bildlichkeiten sind niemals sprachlich überhöht, sind vielmehr einer sprachlichen Alltäglichkeit entnommen, die jeder kennt, doch in dieser Formulierung eben eine neue Sichtweise von Wirklichkeit bedeuten. Eine Wirklichkeit, in der sie hinter dem Grau des Alltags die Besonderheit eines jeden Augenblicks aufdeckt, die Magie des Alltags. Aus dem einfachen Wort wird so ein poetisches Bild voller Kraft und Nachdenklichkeit. „DER MOND RUTSCHTE
VOM HIMMEL / EXAKT VON / 21 UHR 50 BIS / 22 UHR 10 // SEIN VOLLES GESICHT/WIRKTE BLASS / UND UM DEN HALS / TRUG ER / EINEN KRANZ// SPÄTER HING ER DANN / AN MEINER / SCHLAFZIMMERDECKE / UND IN DER ECKE STANDEN / DIE SONNENBLUMEN. //“
Fast überflüssig zu sagen, dass die jeweils gewählte formale Konstruktion, die in der Vielfältigkeit des Bandes angenehm überrascht, und der Sprachfluss jedes Gedichtes mit aller Genauigkeit durchgeführt werden. Hier gibt es keine Zufälligkeiten, keine leichtfertigen Fehler, hier spürt man bei jedem Gedicht, jedem Wort, jedem Buchstaben eine ‚Leichtigkeit’ des Schaffens, die das Lesen zu einem Genuss werden lässt.
Zusammengefasst: Vor uns liegt ein Band voller Poesie, der seinen Titel zu Recht trägt. Die Gedanken sind für jeden Menschen erfassbar, erlebbar, fühlbar. Ein Band voll Gedichte, die man einfach gerne mit sich tragen möchte, den man auf dem Nachttisch liegen haben will, um je nach Verfasstheit, dieses oder jenes Gedicht noch einmal zu lesen.
Dies vor allem auch deshalb, da Ursula Sieg uns nicht aus der Verantwortung entlässt. Denn nie zeigt sie uns mit dem Zeigefinger die Lösung. Nie vergisst sie uns als Leser, denn sie versteht ihre Gedichte als Skizzen, die „Du noch ausmalen musst“.