Soost, Peter: LEBEN NEBEL. Lyrik und Kurzprosa

Autor: 

Soost, Peter:

LEBEN <> NEBEL.

Lyrik und Kurzprosa.


Geest-Verlag, Vechta-Langförden, 2007.


 


ISBN 978-3-86685-068-2

296 S.

11 Euro 

 

 

Peter Soost,
geboren 1959 in Flensburg, ist gelernter Chemikant und lebt momentan in Schwedt. Er war beschäftigt als Jugendklubleiter, Dekorateur, Projekt- Koordinator im Nationalpark „Unteres Odertal", Forstangestellter und Schauermann im Hamburger Hafen. Er studierte einige Semester Meeresbiologie in Rostock, absolvierte später ein Belletristik-Studium an der Axel-Andersson-Akademie und erlern-te das Autoren-Handwerk.

Sein literarischer Stil ist nicht leicht einzuordnen. Oft betrachtet er das Alltagsleben aus einem „überspitzten" Blickwinkel. Häufig verkleidet und schminkt er Märchenhaftes so lange, bis es realistisch anmutet. Mal tummeln sich skurrile Fantasiegestalten in scheinbar natürlichen Welten, dann  wieder  geraten  Men-schen  wie  „Du"  und  „Ich"  in  die  absurdesten Situationen. Peter Soost zeigt uns das ganz normale Leben von Fabelwesen und beleuchtet unser Dasein auf eine subtile, mitunter visionäre Weise. So fährt er Runde um Runde in Kalliopes Achterbahn. Ständig variiert er die Fahrgeschwindigkeit und lotet unterwegs semantische Höhen und Tiefen aus. Zunächst folgt er einer Wirklichkeitsgeraden, steigt auf zum Scheitelpunkt des Abstrusen, stürzt zurück in die schillernde Realität, um kurz darauf einen surrealistischen Looping zu vollführen. Seine Lyrik und Kurz-prosa lädt ein zum Nachdenken, zum Zittern und Lachen.
Als Fernstudent arbeitet Peter Soost zur Zeit an seinem Journalismus-Diplom. Im übrigen verfasst er Beiträge für Regional-Zeitungen und schreibt an einem satirischen Roman und an einem Kinderbuch.
„LebeN <> NebeL"  stellt  einen  repräsentativen Querschnitt seines Schaffens dar.

 

Leseprobe

 

Und es dreht sich doch, ...

 

... das Windrad!

Mit diesem abgewandelten G. Galilei-Zitat könnte ich vor die Schranken der Inquisition treten und würde nicht mehr ernten als kopfschüttelndes Unverständnis. Mehr als scharfrichterschwere Zweifel an meiner geistigen Verfassung hätte ich nicht zu befürchten. -

Dort drüben, ziemlich in der Mitte des  Schulhofes, im ängstlich flackernden Schein der einzig intakten Laterne, rattert und surrt das Windrad im Abendsturm.

Ich stehe außerhalb des Schulgeländes, klammere mich an  den schmiedeeisernen Zaun, der das Terrain meiner zahllosen Kinderprobleme umgibt und - eisige Kälte kriecht in meine Knochen.

Die alten Aluminiumflügel des Windrades scheppern ihr kummervolles Lied und Kummer befällt auch mich. Zentimeter für Zentimeter schrumpfe ich in die Vergangenheit zurück; und ich spüre diesen harten Widerstand in mir. „Du darfst dich nicht erinnern, wehre dich dagegen, der Schmerz, denke an den Schmerz, du würdest ihn nicht aushalten!", so grollt es in meinem Hirn.

Doch es dreht sich in meinem Kopf, das Rad der Erinnerung. Alles dreht sich um Traurigkeit, Gewalt, Bitternis und um Liebe; traurige, gewaltige, bittere Liebe. -

 

Wichtiger als alles andere war meinen Mitschülern, mich zu triezen, mich über den Schulhof zu hetzen und zu vertrimmen. Das war der Sport, den sie liebten und mit Leidenschaft ausübten. Auf diesem Gebiet vollbrachten sie Höchstleistungen. Was interessierte sie schon eine „Sechs" in Mathematik, wenn sie sich darauf freuen konnten, mir in der nächsten großen Pause sechs ordentliche Tritte in den Hintern zu geben. Was kümmerte Freddy Polke, den Oberschläger, der lächerliche Tadel, wenn er mir gleich ein tadellos blaues Auge verpassen durfte. Bei meiner Körperfülle bot ich genügend Angriffsfläche für Sympathiebekundungen aller Art.

Darin war man sich einig, niemand an der Schule gab einen besseren Prügelknaben ab als ich. Einem Sandsack fiel das Flüchten schwer. Solch ein Watschenmann vertrug eine Menge. Und wer den verpflichtenden Vornamen „Lucas" trug, der ließ sich selbstverständlich auch verhauen.

Meine Klassenkameraden wussten sehr genau, was Kameradschaft bedeutete; und dieses Wissen teilten sie mir regelmäßig mit. Sie setzten alles daran festzustellen, wie lange ich die Tränen zurückhalten konnte. Sehr viel Mühe wandten sie auf, mir meine Begeisterung fürs Lernen auszutreiben. Es bereitete ihnen einen Heidenspaß, mir eine Heidenangst einzujagen.

Schuljahr für Schuljahr fühlten sie sich angespornt, mir die Sporen zu geben.

Einmal gelang es mir, mich irgendwie zwei, drei Meter am Mast des kaputten Windrades hochzuhieven. Unter mir johlten die Häscher und streckten sich vergeblich nach mir. Wer immer versuchte, mir nachzuklettern, den wehrte ich erfolgreich mit meinen Füßen ab. An diesem Tag erwies ich mich als äußerst widerspenstige Beute, trotzte selbst einem Kieselstein-gewitter und keine noch so wilde Drohung konnte mich zum Abstieg bewegen. Irgendwo zwischen schwindelerregender Flucht und schwindelerregender Furcht hielt ich durch.

Wie er grölte, der Chor der ums Vergnügen gebrachten Jäger: „Qualle in der Falle, Qualle ist gleich alle!"

Zwanzig Minuten lang, bis es wieder zum Unterricht klingelte, bewies ich meine „Klammeraffen-Qualitäten".

Niemals danach konnte ich mit einer ähnlichen Glanztat aufwarten. ...

 

 

(Ausschnitt)