5. Große Kiesau Literaturnacht - Am Ende war der Raum ganz verändert... (Unser Lübeck berichtet)

5. Große Kiesau Literaturnacht - Am Ende war der Raum ganz
verändert...

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Von Lucrezia Borgia
Montag, 1. März 2010
Bettina Thierig und Mario Gremlich

In
der ausverkauften Großen Kiesau Nr. 1 erlebten die Gäste eine
eindrucksvolle Darbietung von Lyrik und Kurzprosa der Autorin und
Bildhauerin Bettina Thierig, vorgetragen durch den, in Lübeck bekannten
Schweizer Schauspieler Mario Gremlich, als auch durch die Autorin
selber.


Die Stühle für das
Publikum waren in Doppelreihen so aufgestellt, dass sich die Zuhörer
gegenüber saßen. Dazwischen entstand ein Gang, an dessen Enden je ein
Stuhl stand. Die Künstler nutzten den Zwischenraum und die Stühle als
eine Art Arenabühne. Der Auftritt der beiden Darbietenden wurde in
Anlehnung an den Titel der 5. Großen Kiesau Literaturnacht „Der lange
Atem“ durch aufgenommene Atemgeräusche angekündigt, in das
Schweinequieken gemischt war.

Die Lesung begann mit der
Geschichte „Abgeferkelt“, die in verteilten Rollen gelesen wurde. Es
folgte ein Gedichtblock unter dem Titel „Nah“. Im raschen Wechsel
zwischen Gremlich und Thierig, gelegentlich auch unisono, als Kanon oder
Echo, wurden die Gedichte vorgetragen. Der häufige Wechsel der
Positionen, aber auch die stets präzisen Situationen, die im
Zusammenspiel entstanden, machte es dem Publikum leicht, mit ihrer
Aufmerksamkeit bei den Vortragenden zu bleiben. Manchmal wurde das
Publikum aus der passiven Rolle des Konsumierens herausgerissen. Nach
jedem Gedicht flatterte das Blatt aus den Händen der Vorlesenden zu
Boden und bildete einen weißen Teppich, der den Eindruck des Raumes,
aber auch das Geräusch der Schritte der beiden veränderte. Auch die
zweite Kurzgeschichte „Versuch“ wurde mit einer Atemkollage eingeführt,
in der der Tempowechsel der Atemgeräusche eine Stimmung von Gefährdung
anklingen ließ.

Mit den Kurzgeschichten „Abgeferkelt“ und
„Versuch“ gelang es der Autorin, das Fremde im Eigenen und das Eigene im
Fremden fühlbar zu machen. Synopsenhafte Wortspiele ließen sofort
Bilder entstehen, einerseits präzise, andererseits immer mit genug
Spielraum versehen, um eigenes Erlebtes mit einfließen zu lassen.
Beeindruckend ist, mit welcher Leichtigkeit Thierig menschliche
Interaktionen, sowohl verbale als auch nonverbale, dergestalt zu Papier
bringt und vorträgt, dass der Zuhörer sich sofort wieder findet.

Die
weiteren Gedichte waren in den Kapiteln „Woanders“ und „Betrifft“
thematisch zusammengefasst. Mit kurzen Sätzen, gelegentlich auch nur
einzelnen Worten, werden Themen z.T. messerscharf seziert. Bei „Mal
offen sein“ wird z.B. ein Aspekt einer Beziehungsebene wunderbar
ironisch herausgearbeitet ohne jedoch auch die Bedrohlichkeit der
beschriebenen Emotionen aus den Augen zu verlieren. Auch scheinbar
Alltägliches, wie der Besuch der Stadtbibliothek oder die
Wissenschaftsseite wurden sinnlich und physisch spürbar dargeboten und
ließen die dahinter liegenden Abgründe erahnen. Eher lakonisch, aber
auch subtil wirken andere Gedichte, die Dialoge mit sich selbst zum
Inhalt haben, wie „Strategie II“. Hier ist es die Pointe am Ende, die
zum Nachdenken anregt.

Zwischen Mario Gremlich und Bettina
Thierig entsteht von Anfang an ein Spannungsbogen, der die Zuschauer
mühelos durch die ganze Lesung trägt. Immer wieder gibt die Lesung auch
Anlass zu befreiendem Lachen, gerade bei der letzten Geschichte „Der
Hund“, was aber der dahinter liegende ernste Aspekt nicht verhindert,
sondern eher das Berührt-werden erleichtert. Der Boden war voller weißer
Papierblätter und der Raum blieb verändert.

Mario Gremlich
ist 1966 in Sirnach (Schweiz) geboren. Nach dem Abitur machte er seine
Schauspielausbildung an der Schauspielakademie in Zürich. Nach ersten
Engagements an den Bühnen von Darmstadt, Oberhausen und Bonn, begann er
frei zu arbeiten und erhielt Gastengagements in Deutschland,
Liechtenstein, Österreich, Luxemburg und der Schweiz. In dieser Zeit war
er auch Interimsleiter des Theaters am Kirchplatz in Schaan (Fürstentum
Liechtenstein) und machte erste Regiearbeiten. Nach den Stationen
Hannover, Lübeck und Bonn ist Mario Gremlich nun Gast am Theater
Biel/Solothurn. In den Sommermonaten spielt er wie vergangenes Jahr in
Travemünde (im Casino und auf der Passat "Die Schatzinsel").

Bettina
Thierig
wurde in Hannover geboren. Künstlerische Ausbildung an der
Universität Dortmund und der Kunstakademie Düsseldorf. 1993 Förderpreis
des Kunst- und Kulturfonds der Stadt Witten. 1996 und 2004 Aufenthalt in
New York. 1998/99 Dozentin im Fachbereich Kunst der Universität
Dortmund. Seit 2000 lebt und arbeitet die Bildhauerin und Autorin in
Lübeck. Bettina Thierig schreibt Lyrik seit Anfang der 80er Jahre, hat
aber in den letzten Jahren vorwiegend als Bildhauerin gearbeitet. Seit
2006 hat sie ihre Beschäftigung mit Lyrik wieder intensiviert. 2007 und
2008 Teilnahme an der 2 und 3. „Großen Kiesau Literaturnacht“. Ende 2007
erschien der Lyrikband „Pausenlos“ beim Geest Verlag. Ende 2010 wird
beim selben Verlag ein weiteres Buch mit Kurzprosa und Lyrik erscheinen.
Seit dem hat Bettina Thierig außerdem zusammen mit Dan Burdon mehrere
Lyrikverfilmungen realisiert.
www.bettina-thierig.de