ON am Sonntag bringt langen Bericht über Volker Issmers 'Zahngold' und die Geschichte dahinter

„Zahngold“ und die Geschichte dahinter

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08.11.2009

Volker Issmer auf der Spur des Glatzer Synagogen-Goldes

 
 
„Zahngold“ und die Geschichte dahinter
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Osnabrück (eb) – „Auf dem
flachen Dach des Nachbarhauses (...), das die Synagoge überragte,
standen Männer, SS in Zivil, wie ich später erfuhr, und schleuderten
Benzinflaschen in das Innere des brennenden Gebäudes. Vor dem Tor der
Synagoge stand ein Feuerwehrmann mit einem Schlauch, aus dem aber nur
ein dünner Wasserstrahl drang. Der Wasserdruck sei zu schwach,
versicherte der Feuerwehrmann, verständnisvoll grinsend...“
So schildert ein Augenzeuge die Zerstörung einer Synagoge in der Nacht
vom 9. auf den 10. November 1938. Aber es war nicht die Synagoge in
Osnabrück, sondern die in Glatz, einer mittelgroßen Stadt in Schlesien
und Hauptort der gleichnamigen Grafschaft. Der Augenzeuge war
Funktionär der NSDAP und sicherlich nicht zufällig am Ort des
Geschehens. Im Weiteren erwähnt er, dass ein an der Brandstiftung
maßgeblich Beteiligter sich aus dem geplünderten Synagogengold Zähne
machen ließ, mit denen er sich später brüstete.
Der
Historiker Dr. Volker Issmer (OS) hat aus dieser Stelle in den Memoiren
seines Vaters einen Roman entwickelt („Zahngold“, Geest-Verlag, 2008).
Darüberhinaus ist er der weitgehend verschollenen Geschichte der
Glatzer Juden nachgegangen und hat versucht, etwas über das weitere
Schicksal des SS-Zahngoldträgers herauszufinden.
Seine Ergebnisse:
Die kleine jüdische Gemeinde in Glatz existierte bereits im
Mittelalter, bis die Juden 1492 wegen angeblicher „Hostienschändung“
vertrieben wurden. Erst im 19. Jahrhundert durften sich wieder Juden
ansiedeln, von denen es mancher zu Wohlstand brachte, etwa Louis
Schott, Besitzer der gleichnamigen Schnapsbrennerei.
Aber trotz
ihrer nahezu vollständigen Assimilation traf auch die Glatzer Juden die
Verfolgung durch das NS-Regime mit voller Härte. Einigen gelang es,
rechtzeitig auszuwandern, die meisten aber wurden deportiert und
umgebracht, unter ihnen Siegfried Schott, der Sohn des Firmengründers.
Der
SS-Offizier, der das Gold aus der Glatzer Synagoge im Mund trug, war
später im östlichen Polen eingesetzt. Dort beteiligte er sich
maßgeblich an der Verfolgung und Vernichtung der Juden, bis er „des
Osteinsatzes für unwürdig“ befunden wurde, weil er mit einer
einheimischen Frau „geschlechtlich verkehrt“ und somit „Rassenschande“
betrieben habe, wie es in einem Schreiben der obersten SS-Führung an
den Delinquenten heißt. Der Offizier wurde zurück nach Glatz beordert
und ist offensichtlich Ende 1945 in einem sowjetischen
Kriegsgefangenenlager ums Leben gekommen. Mit ihm verliert sich auch
die Spur des Glatzer Synagogengoldes.
Für die OS-Region ist außer
der Tatsache, daß nach dem Krieg mancher Bewohner der Grafschaft Glatz
im Osnabrücker Land eine neue Heimat gefunden hat, die Erwähnung eines
gewissen „Alex“ in den Unterlagen von besonderer Bedeutung, macht
Issmer im Gespräch mit ON deutlich. Bei „Alex“ Es handelt sich um einen
jungen (mutmaßlichen) Ukrainer, dessen Nachname nicht genannt wird und
der maßgeblich an den deutschen Mordaktionen im Osten beteiligt war.
Issmer hält es für möglich, dass dieser Mann identisch ist mit „Alex“,
dem sogenannten „Wassermörder von Ohrbeck“, der im Augustaschacht sein
Unwesen trieb.
Lohnt es sich eigentlich, diesen längst vergangenen
Ereignissen und Zusammenhängen heute noch nachzugehen? Ja, meint
Issmer. Er weist darauf hin, dass Ende des Krieges und unmittelbar
danach Millionen Deutsche aus den früheren Ostgebieten des Reichs
vertrieben worden sind. „Den Vertriebenen ist großes Leid und Unrecht
zugefügt worden, worüber sie sich zu Recht beklagen. Darüber ist
allerdings häufig vergessen worden, was an Leid und Unrecht Deutsche
auch in den Städten und Dörfern der früheren Ostgebiete ihren jüdischen
Mitbürgern zugefügt haben und dass mancher von ihnen in die Verbrechen
des Zweiten Weltkriegs eingebunden war, vor allem gegenüber den Juden,
aber auch gegenüber den Polen“, so Issmer.
Er plädiert dafür, eine
Aktion wie „Stolpersteine“ auf die ehemaligen deutschen Ost- und
heutigen polnischen Westgebiete auszuweiten, als Schritte des Erinnerns
und der Versöhnung. Er selbst sei gern bereit, so Issmer, für einen
Siegfried Schott gewidmeten „Stolperstein“ aufzukommen.
In Glatz
oder Klodzko, wie es heute heißt, wurde am Standort der Synagoge
bereits ein Gedenkstein aufgestellt, dessen Inschrift auf Hebräisch,
Deutsch und Polnisch besagt: „Hier stand die Glatzer Synagoge –
Entweiht und verbrannt in der Pogromnacht des 9. November 1938 durch
die Nationalsozialisten.“
Als Unterschrift folgt der Hinweis darauf,
wer den Stein aufgestellt hat. „Ehemalige Deutsche und heutige
polnische Bewohner 1995, 50 Jahre nach Kriegsende“.