Angelika Pauly - Emil kämpft

Angelika Pauly

Emil kämpft
„Du, was ist eigentlich Krieg?“, wollte Jonathan, Emils Teddybär, wissen, als er einige Tage später gemütlich in Emils Arm im Kinderbett lag. Emil war schon fast eingeschlafen und murmelte: „Weiß ich nicht, musst du Mama fragen.“
„Das ist deine Mama, mich versteht sie doch nicht. Dann frag sie doch mal“, antwortete Teddy.
„Mach ich morgen“, gähnte Emil und schlief ein.
„Du, Mama, was ist eigentlich Krieg?“, fragte Emil am nächsten Morgen Frühstück seine Mutter.
„Ach, du hast das gehört von der Ukraine? Im Kindergarten, oder wo?“, wollte nun Mama wissen.
„Nee, mein Teddy möchte das wissen“, antwortete Emil.
„Ach so, dein Teddy“, Mama dachte nach. „Nun, wie erkläre ich das einem Teddy. Also Krieg ist ein Streit. Streit kennt Teddy doch, oder?“
Emil nickte.
„Krieg ist nun ein Streit unter Erwachsenen, genauer gesagt unter Staaten.“
„Staaten? Was ist das denn?“, wollte Emil wissen.
„Na, zum Beispiel ist Deutschland ein Staat, und die Niederlande und Frankreich“, erklärte die Mutter.
„Ach so“, Emil nickt. „Und wieso heißt es Krieg und nicht Streit? Kommt Krieg von kriegen?“
Das weiß ich nicht, das kann sein. Man nennt einen Streit einen Krieg, wenn die Leute sich dabei wehtun.“
„Oh je“, das ist ja schlimm.“
„Ja, und oft sterben viele Leute dabei“, erzählte Mama weiter.
„Warum macht man dann den Krieg? Das verstehe ich nicht“, meinte Emil.
„Ich auch nicht“, sagte Mama.
„Ist das jetzt in der … wie hieß das noch? …auch so?“, fragte Emil weiter.
„Eigentlich ist das kein Streit, sondern ein Land will dem anderen Land vorschreiben, was es zu tun und zu lassen hat. Und da dieses Land das nicht will, sind Soldaten aus dem anderen Land gekommen und schießen.“
Mama war ganz rot vor Aufregung im Gesicht geworden.
„Das ist ja schrecklich!“, rief Emil. „Das geht doch nicht, das kann das andere Land doch nicht machen!“
„Finde ich auch!“, rief nun Mama.
„Und ich auch!“, rief auch Papa, der zum Frühstück gekommen war. Er schnappte sich ein Brötchen, biss hinein und sagte undeutlich: „Aber die Ukrainer schießen zurück und wehren sich ganz doll.“
„Sie werden es nicht schaffen“, Mama war nicht so sicher wie Papa. „Und dieser Krieg ist so nah.“
„Dann muss man ihnen helfen“, schlug Emil vor und zitterte etwas.
„Wird auch gemacht“, beruhigte ihn Papa.

Mama brachte Emil in den Kindergarten. So gut hatte Papas Beruhigungsversuch nicht gewirkt, denn Emil zitterte immer noch etwas.
Auch am Nachmittag ließ ihn dieser Krieg nicht los: „Man muss ihnen doch helfen“, sprach er vor sich hin, als er in seinem Zimmer mit Bausteinen spielte.
„Wem muss man helfen?“, Teddy war erwacht, gähnte ausgiebig und krabbelte dann zu Emil hin.
„Diesem Land, Ukaranie, oder wie es heißt. Es muss sich verteidigen und schafft es nicht alleine“, erklärte Emil.
„Moment!“, Teddy krabbelte in eine Spielecke und kam mit dem Laserschwert wieder zurück, schwang es hin und her und rief: „Ich bin bereit für den Kampf. Habe schließlich schon hundert Vurisse besiegt. Dann gehen wir doch los. Wo ist denn Ukaraine?“
„Das weiß ich auch nicht, aber weit kann es nicht, glaube ich“, antwortete Emil.
„Schleichen wir uns diese Nach aus dem Haus“, schlug Teddy vor.
„Ja, denn merkt Mama nichts. Ich packe ein paar Kekse für uns ein“, nickte Emil zustimmend.
Und so geschah es: Emil ‚organisierte‘ Kekse aus Mamas Vorratsschrank und gleich ein paar Getränke-Päckchen mit dazu, verstaute sie in seinem Rucksack, packte zwei Schwerter dazu und legte sich schlafen. Doch halt, er tat nur so. Nach Mamas Gute-Nacht-Kuss krabbelte er wieder aus dem Bett, zog sich an und wartete darauf, dass Mama und Papa zu Bett gingen. Zum Glück gingen sie heute sehr früh schlafen. Emil hatte das Fenster im Bad, das ebenerdig lag, aufgelassen.
„Komm“, flüsterte er Jonathan zu und klemmte den Teddy unter den Arm. Er kletterte durch das kleine Fenster hinaus und sprang auf den Boden. Nun noch durch die Garagentür – Papa ließ sie immer offen – auf die Straße.
Dunkel war es, kühl war es. Emil atmete tief durch und ging los. Zuerst die Straße entlang, dann immer weiter Richtung Innenstadt. Von hier aus hoffte er nach Ukaraine zu kommen. Konnte ja nicht weit sein. Dann wollte er kämpfen und die Menschen dort befreien, so hoffte er. Er ging und ging, er lief und lief unerkannt durch die Nacht. Menschenleere Straßen, nur vereinzelt ein Auto – Emil versteckte sich dann in einer Haustür – und nur die Ampellichter blinkten.
Teddy war wohl eingeschlafen, jedenfalls sagte er kein Wort mehr. Und auch Emil wurde immer ungemütlicher zu Mute. Er wurde müde und hungrig, setzte sich auf eine Bank, die am Straßenrand stand, und packte seine Kekse aus. Teddy schlug auch dabei die Augen nicht auf.
„Dann nicht“, meinte Emil und aß und trank alleine. Das Essen machte ihn noch müder und sein Kopf sank auf die Lehne der Holzbank.
Emil schlief ein.
„Wen haben wir denn hier?“, weckte ihn eine freundliche Männerstimme.
Emil schlug die Augen auf. Vor ihm stand ein Polizist und hinter diesem ein Polizeiwagen auf der Fahrbahn mit laufendem Motor.
„Hast du dich verlaufen? Wie heißt du denn und wo wohnst du?“, fragte der Wachmann weiter.
Emil schaute ihn erschrocken an und antwortete: „Ich bin Emil und will in die Ukaraine und kämpfen, die Leute schaffen es nicht allein. Jemand muss ihnen doch helfen.“
Der Polizist setzte sich neben den Jungen auf Bank: „Emil, du bist ein Kind. Kinder müssen niemand beschützen. Im Gegenteil, Kinder müssen beschützt werden. Dafür sind die Erwachsenen da und genau dafür bin ich, ein Polizist, da. Du musst auch nicht kämpfen. Im Gegenteil, man muss für dich kämpfen, damit du gut und in Freiheit leben kannst. Verstehst du das?“
Emil schaute den Polizisten an und senkte dann den Kopf. Ja, er verstand und eigentlich fühlte er sich auch noch zu klein, um gegen Soldaten zu kämpfen. „Was meinst du?“, sprach er seinen Teddy an, doch Jonathan zog es noch immer vor, zu schlafen.
„Komm, mein Kollege und ich fahren dich nach Hause. Sag mir bitte, wo du wohnst“, bat der Schutzmann.
Emil nannte ihm seine Adresse. Papa hatte darauf bestanden, dass er sie auswendig lernte, und nun wurde er nach Hause gefahren. Die Polizisten klingelten an der Haustür und Mama und Papa öffneten völlig aufgelöst, denn sie hatten schon bemerkt, dass Emil nicht mehr da war.
„Hier haben Sie ihren Sohn“, begrüßte sie der Polizist. „Lassen Sie mich einiges sagen: Ich habe noch nie so ein tapferes Kind gesehen!“
Dann verabschiedeten sich die Polizisten und fuhren davon.
Emil mochte seinen Eltern nicht erklären, warum er weggelaufen war, sondern wollte nur noch schlafen. So brachten ihn die Eltern zu Bett und bewachten seinen Schlaf.