Bürgermeisterin Germaid Eilers-Dörfler, Oldenburg, schreibt zu Anne Rakels 'Sammy'

Bürgermeisterin Germaid Eilers-Dörfler, Oldenburg

Jugendliche, ihre oft beklagte Oberflächlichkeit, ihr Desinte-resse an gesellschaftlichen Entwicklungen, ihre Orientierung auf sich selbst und, und, und. An Stereotypen über Jugendliche mangelt es in der medialen Berichterstattung und durchaus auch im politischen Diskurs nicht. Doch gibt es „die Jugendlichen“ überhaupt? Verlieren wir dabei nicht aus dem Blick, dass es sich jeweils um individuelle junge Per-sönlichkeiten mit ihren ganz eigenen Gefühlen und Gedanken handelt? Immer wieder stellt sich mir im politischen, gesellschaftlichen und auch im privaten Kontext diese Frage.
Und dann kommt dieses Buch. Eher zufällig läuft es mir über den Weg (mit Sammy fange ich natürlich gleich an zu überlegen, ob es wirklich Zufälle gibt). Ein Buch von Sammy, ihren Freunden und Freundinnen, ihren Eltern und den Erwachsenen in ihrem Umfeld. Schon versuche ich mich zuzuordnen, wer wohl ich von den gezeichneten Figuren bin? Ich beginne zu lesen und schaffe es trotz zahlreicher Verpflichtungen nicht mehr, mich aus diesem Buch zurückzuziehen, lasse mich anstecken von Sammys Gedanken und Gefühlen. Ich darf teilnehmen am Leben dieser sympathi-schen jungen Frau, bekomme die Augen geöffnet, unter welchen Bedingungen junge Menschen heute ihr eigenes Leben gestalten und entwickeln müssen – und vor allen Dingen auch können. Sammy lässt nichts unbefragt. Gedan-kenhilfe findet sie dabei in Literatur und Philosophie, in den Gesprächen mit Freundinnen und Freunden. „Gedichte und Sprache können helfen. Das weiß ich sicher. Mit guten Tex-ten kannst du alles besser verstehen“, sagt sie.
So ist Sammy immer auf der Suche nach dem perfekten Satz für die jeweilige Situation, eigenes Verhalten und Emo-tionen verstehbar zu machen. Sie ist aber auch auf der Suche nach den Menschen, die diese entscheidenden Wörter den-ken, sagen und handeln. Sie will solche Menschen um sich sammeln, und sich auch von Menschen trennen, die ihr nichts oder nichts mehr zu sagen haben, etwa ihr Freund, von dem sie sich trennt.
Anne Rakel schafft es, uns älteren Leser dafür die Augen zu öffnen, welche Emotionen und Herausforderungen junge Menschen durchleben und wie selbstverständlich sie Hürden und Anforderungen meistern. Aber vielleicht lehrt Sammy auch uns Alte, uns ebenso tief mit unserer gemein-samen Welt auseinanderzusetzen, Menschen zu sammeln, deren Einsichten für unser Leben wichtig sind, und Veränderungen zuzulassen – das ist ja kein Privileg der Jugend.
Welche Bedeutung hat dieses Buch für unsere Kinder und Enkelkinder, für die nachwachsende Generation? Es ist ein Mutmacherbuch, Mut, sich seines Verstandes zu bedienen, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, sich mit der Hilfe bereits gedachter und eigener Worte auf die Suche nach sich selbst und seinem Verhältnis zur Welt zu machen. Sammy gibt keine Antworten für jede Situation, sie zeigt Möglichkeiten auf, wie man sich als Jugendliche auseinan-dersetzen kann, ohne sich dabei im Mainstream des Trivialen zu verlieren. Sie vermittelt Begeisterung an der Auseinandersetzung mit Literatur, Philosophie, Musik, Kunst und auch Naturwissenschaft. Sammy macht uns klar, nein, es geht nicht darum, Theorien, Geschriebenes und Gedachtes als Moment für benotetes Wissen zu erlernen, sondern es in seiner Bedeutung für eigenes Leben und Gesellschaftlichkeit zu hinterfragen und durch eigenes Denken und Fühlen zu erweitern.
Ein Buch, das auch sprachlich unfassbar viel Spaß beim Lesen macht. Ein Buch, das man gemeinsam lesen sollte, die Jungen zusammen, die Alten zusammen und Alt und Jung gemeinsam. „Das kleine Unrecht im Keim ersticken, damit es nicht wachsen kann zu einem großen. Politisch mitdenken. Überhaupt denken. Lesen. Diskutieren.“
Ich kann Sammy nur zustimmen und freue mich sehr, dass es viele Sammys unter den jungen Menschen unseres Landes gibt, die dafür Garant sind, dass es auch in Zukunft ein sinnerfülltes, demokratisches Miteinander in diesem Land geben wird. Anne Rakel hat mit Sammy eine wichtige und wunderbar inspirierende Figur geschaffen.