CELINA BISCHOF - Der Wunsch nach Leben

CELINA BISCHOF, HAINBURG
Der Wunsch nach Leben
Wenn du einen Moment in dich gehst und dir dein Leben vor Augen führst, gibt es etwas, das du dir sehnlichst wünschst? Denn ganz ehrlich, wir alle haben sie – Wünsche. Du und ich, ganz egal, wer wir sind. Wünsche stecken in jedem von uns. Oft sind sie uns gar nicht wirklich bewusst, da sie im Tiefen verborgen sind, aber sehr weit im Herzen verbreitet. Bei manchen mehr oder weniger. Hinter jedem Wunsch verbirgt sich ein stilles Verlangen oder auch eine quälende Sehnsucht. Sie sind der Grund, warum wir träumen oder auch hoffen, selbst wenn das Leben uns oftmals wenig Raum dafür lässt. Dort, wo Wünsche ihren Platz finden, dort ist es egal, wie unmöglich etwas zu sein scheint. Erst wenn das Leben uns zurück zur Realität holt, realisieren wir, dass ein Wunsch sich manchmal auch zu einem unerfüllbaren Wunsch entwickeln kann.
Bereits im frühen Alter fangen wir an zu glauben. Doch dieser Glaube verblasst mit den Jahren, weil das, was wir uns wünschen, im Leben auch ganz anders kommen kann, als man je zu glauben vermag. Ein Kind macht sich jedoch darüber noch keine Gedanken. Für ein Kind hat der Glaube kein Ende und für Wünsche gibt es keine Grenzen, sie reichen weit bis zum Unendlichen hinaus. Denn als Kind bist du noch so unberührt vom Leben. Auch ich hatte als Kind das Gefühl, nach den Sternen greifen zu können. Ich, ein kleines zärtliches Mädchen in so einer großen Welt, habe mich dem Universum so nah gefühlt. Keine Sekunde lang habe ich gezweifelt, weil der Glau-be und die Hoffnung immer überwogen. Zu dieser Zeit waren Selbstzweifel für mich noch fremd.
Jeder Wunsch wird wahr, wenn du nur fest daran glaubst.
Diesen Satz predigten meine Eltern mir meine komplette Kindheit, und ja, das hat mich als Kind geprägt. Ich denke, alle Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder immer mit einer positiven Einstellung durchs Leben gehen. Wir in unseren jungen Jahren verstehen einiges noch nicht, was in unserer Welt geschieht. Demnach fällt es uns auch nicht schwer, fest an etwas zu glauben oder die Hoffnung zu bewahren. Es mag Naivität sein, aber im späteren Alter tragen wir oft noch etwas Leichtgläubigkeit in uns, bei manchen zeigt es sich auch schon mal mehr. Durchaus gibt es auch Momente, in denen wir manche Dinge viel mehr mit solchen Kinderaugen betrachten sollten, um nicht gleich jegliche Fassung zu verlieren. Denn ist es nicht so, dass wir manche Situationen im Leben schlimmer auffas-sen, als sie eigentlich wirklich sind? Warum haben wir das Gefühl, dass es immer schwerer wird, je älter man wird, obwohl die Welt um uns herum die gleiche ist? Denn nicht die Welt an sich verändert sich, sondern wir verändern uns und damit auch die Welt.
Bei all dem Guten und Schönen, so wie ich das Leben als Kind sah und meine Eltern mir auch immer wieder zeigten, haben sie eins lange versucht, von mir fernzuhalten. Die Schattenseiten des Lebens. Die erschütternde Wirklichkeit. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Wie soll man einem kleinen Kind, das das Leben lebt, dabei vor sich hin träumt und ohne Verstand, sondern allein mit dem Herzen handelt, erklären, dass uns das Leben vor viele Aufgaben stellt, die es zu bewältigen gilt?
Ich blicke gerne zurück. Einen Augenblick noch mal Kind sein, das wünsche ich mir oft. Warum? Um einfach weniger über alles nachzudenken und mehr zu fühlen, zu leben, zu träumen. Es gab nicht viel, das sich mein kleines Kinderherz ge-wünscht hat. Denn mir mangelte es an nichts, wirklich. Ich war ein gewöhnliches kleines Mädchen, das sich hier und da mal auch einfach nur eine neue Puppe, was zum Spielen oder etwas Süßes gewünscht hat, einfach wie jedes Kind, das glücklich lebt. Aber Eltern vergessen oft, dass auch Kinder viel mitbekommen und es früher oder später auch in ihnen etwas auslösen wird. Schon immer habe ich es sofort gespürt, wenn es den Menschen um mich herum nicht gut ging. Und ich kleines Wesen habe gedacht, dass ich daran etwas ändern kann. Aus einem unerklärlichen Grund fühlte ich mich immer für alles verantwortlich. Und das ist heute noch so.
Ich erinnere mich noch genau an einen Augenblick, wo das Leben meinem bislang unendlichen Glauben an alles die Grenzen aufzeigte. Ich sehe es noch genau vor Augen, dieses verträumte kleine dreijährige Mädchen, das ihren hoffnungsvollen Blick zum Nachthimmel richtete und glaubte, mit nur einem Wunsch alles verändern zu können.
Sie wartete sehnlichst darauf, endlich diesen einen hellen Funken am Himmel entlangstreifen zu sehen, und dann hoffte sie, dass all die Sorgen verschwinden würden. Natürlich glaubte sie daran, so wie es ihr immer gepredigt wurde, aber keiner sagte ihr die Wahrheit. Warum sieht sie immer wieder die besorgten Gesichter ihrer Eltern, während sie doch nur im Kinderzimmer spielt? Warum sind ihre Eltern so ängstlich, wenn sie allein auf der Couch sitzt? Es war für sie nicht schlimm gewesen, denn sie kannte es nicht anders, bis ihr Bruder auf die Welt kam und sie immer mehr die Wirklichkeit zu spüren bekam. Sie bekam das Gefühl nicht mehr los, dass etwas nicht stimmte. Bei ihm war alles anders, und obwohl er zwei Jahre jünger war, spielte und tobte er schon wild umher, und sie saß daneben, als er seine ersten Schritte ging. Was mit Mama und Papa ist? Sie platzten vor Stolz und auch ein Stück Erleichterung zeichnete sich in ihren Gesichtern ab. Nun vergingen unzählige Minuten, in denen das kleine verträumte Mädchen auf ihrem Stuhl saß und fasziniert nach oben schau-te, und dann geschah der Moment, von dem sie so lange träumte, sie erblickte den hellen Streifen am Sternenhimmel und schloss danach ihre zarten Augenlider. Ihre Eltern waren in diesem Augenblick nicht bei ihr, aber sie wusste, sie sollte aufpassen. Aber auf was genau, sagten sie ihr zu diesem Zeit-punkt noch nicht. Eines wusste sie jedoch schnell, das, was sie sich wünscht. Denn wenn sie nur ganz fest daran glaubt, wird alles besser werden, darauf hoffte sie. Einmal nur das können, was ihr Bruder kann, und Mama und Papa glücklich machen. Das und ihr endloser Glaube gaben ihr den Mut, einen Schritt ins Leben zu wagen. Für einen kleinen Moment glaubte sie, dass ihr Wunsch wahr wurde, doch als sie den Boden unter ihrem reglosen Körper spürte, hat die Realität sie endgültig eingeholt. Ihr zierlicher Körper nahm keinen Schmerz wahr. Der Schock und die Enttäuschung waren groß. Sie war gefangen in ihrem Körper. Sie wird immer anders sein, das weiß sie jetzt. Ein Wunsch, der sterben musste wie Blumen im Winter, doch tief in der Erde überleben ihre Samen. Dieser Wunsch nach Leben bleibt für die Ewigkeit.