Christoph Katz - Lien und Mu (erste Begegnungen)


Lien und Mu wanderten durch den frühen Morgen. An einer alten, verlassenen Hütte fanden sie eine Fasanenfeder. Voll Freude nahm Lien die Feder und schrieb auf das von der Morgenkühle beschlagene Fenster der Hütte.
„Was für ein schönes Gedicht!“ rief Mu. „Meister, Sie müssen es bewahren!“
Lien lächelte. Lange gingen sie weiter durch den Wald. In der Mittagsstunde streiften sie einen alten Friedhof.
„Nun“, fragte Lien, „was sollte auf deinem Grabstein stehen?“
Mu antwortete eilfertig: „ich bin ein Mönch. Es ist nicht wichtig, dass dort etwas steht. Alles ist in der Welt. Ob es geschrieben ist oder nicht.“
„Ja“, nickte Lien, „so ist es.“

*

Auf dem Weg durch die Stadt kamen Lien und Mu an einer tiefen Baugrube vorbei. Vier Pfeiler waren in den Boden gerammt.
„Schau, Meister“, rief Mu, „nur auf diesen vier Pfeilern wird das ganze Haus ruhen.“
„Ja“, nickte Lien. „So ist unser Leben.“

*

Lien und Mu saßen am Ufer eines stillen Sees.
„Meister“, was schaut ihr so gespannt auf das Ufer dort?“
„Ich beobachte eine weiße Bisamratte.“
„Aber Meister, da ist keine weiße Bisamratte!“
„Vor sieben Jahren saß sie dort. Ich kam damals in Eile vorbei. Jetzt habe ich Zeit, sie zu beobachten.“

*

„Schaut nur, Meister, wie schnell die Wolken fliegen!“
„Ja“, antwortete Lien. „Meinst du, sie können deine Gedanken einholen?“

 

Insgesamt 265 Begegnungen plant Christoph Katz mit Lien und Mu in seinem neuen Band.