Clara Folger - Hochkantdenken

Clara Folger, 20 Jahre, Elchingen
Hochkantdenken

Sprühregen,
tausend kleine Nadeln
in mein geschundenes Gesicht,
um mich mal wieder
lebendig zu fühlen

fühlen, wie Menschsein war,
bevor das Leben nach innen gestülpt,
pausiert wurde
erstarrt zu Relikten einer fernen Erinnerung,
begutachtet in Fotoalben
als museale Rarität

Wunde Fingerkuppen,
tausend offene Fragen
über das Grübeln, ob es das nun ist,
unser Zeitgeist

Die Welt geteilt in
davor
und
danach

davor: querdenken ist Freigeistigkeit
danach: Zeichen der Kleingeistigkeit

bleibt nur noch
hochkantdenken

für kreisrund
hat das Dasein zu blitzscharfe Kanten,
die unsere Adern aufschlitzen
den Puls verlangsamen

Origami des Geistes praktizieren
Enge der Brust und Gedanken im
Winterschlaf

bleibt nur noch
social distancing als Flucht
vor dem quälenden Selbst
in der Reflexion des Ideensees

bleibt nur noch
das Fotoalbum begutachten
als museale Rarität