Das besondere Kinderbuch geht in die vorbereitenden Arbeit: 'An der Leine' von Anja Gumprecht (Text) und Anne Vockeroth (Grafik)

An der Leine
von Anja Gumprecht (Text)
Anne Vockeroth (Grafik)

Kinderbücher für an Krebserkrankte Kinder und ihr Umfeld stehen immer vor einer großen Problemstellung. Sie müssen, wollen sie tatsächlich ein Kinderbuch sein, sich lösen aus der medizinischen und pädagogischen Außensicht von Ärzten, Eltern, Erwachsenen, müssen versuchen, sich der Gefühle und dem Erleben des erkrankten Kindes anzunehmen.
Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, befindet sich die ganze Familie schlagartig in einer fremden Welt. Das Kind wird aus einer Welt der Wahlfreiheit und Unbeschwertheit in eine Welt des Zwangs und der Sorge geworfen. Statt der gleichaltrigen Freunde sind plötzlich hauptsächlich Erwachsene, Ärzte, Krankenschwestern und Taxifahrer ihre Weggenossen. Der Aktionsradius wird extrem klein, beschränkt auf die Reichweite des Infusionsschlauchs, auf das Krankenhauszimmer oder die Wohnung und überall ist das Kind von sorgenvollen Blicken umgeben. 
Anders als bei einer Kinderkrankheit oder einem gebrochenen Bein fehlen die beruhigenden Geschichten aus der Familie und dem Bekanntenkreis, von einem, dem es auch so ging und der nun längst übern Berg ist. Alle sind mit einer neuen Fachsprache und vielen Fremdwörtern konfrontiert. Dabei wird oft versäumt, mit dem Kind über das tatsächliche Erleben zu sprechen. 
In diesem Buch beschreiben Anja Gumprecht und Anne Vockeroth das Geschehen, die Gedanken und Gefühle aus der Sicht eines Kindes, wie sich diese neue bizarre Welt darstellt und anfühlt. Kinder, die sich selbst gerade in der Therapie befinden, werden sicher viele Situationen wiedererkennen. Es kann sehr beruhigend sein, davon zu lesen, dass es auch andere Kinder gibt, denen es ähnlich ergeht. Für Kinder im Umfeld eines krebskranken Kindes können diese Episoden auch einen wertvollen Einblick in diese fremde Welt bieten und zeigen, dass nicht Mitleid sondern eher Neugier angebracht ist.
Sprache und Bild des Buches überzeugen durch ihre geradlinige Betrachtungsweise und ihr Einfühlungsvermögen, wie es bis jetzt kaum in einem anderen Buch zur Thematik vorliegt. Dies verwundert nicht, kennen Autorin und Malerin die Situation der Kinder aus dem Schicksal der eigenen Kinder. Einzelne Episoden, bewusst nicht als Einzelgeschichten gekennzeichnet, sondern die umfassende Veränderung der Realität anzeigend, das offene Ende (für an Krebs erkrankte Kinder kann es nicht den glücklichen Schluss, das versöhnliche Ende geben) zeigen die bis in jede einzelne Sprach- und Bildkomponente durchdachte Gestaltung des Buches.
Das Buch kann damit – und sollte auch durch eine ansprechende Gestaltung (DIN A4-hardcover) – einen festen Platz in den Familien betroffener Kinder und in den Krankenhäusern und Therapieeinrichtungen haben, in jeder Kinderbibliothek vorhanden sein. Es kann betroffenen und nicht betroffenen Kindern und Erwachsenen wichtiges Moment des Verstehens werden.


Text und Idee: Anja Gumprecht (geb. 1977 in Köln) Kulturwissenschaftlerin und Heilpädagogin. Sie ließ sich von den Gesprächen mit ihrer an Krebs erkrankten Tochter zu diesem Buch inspirieren. Der Geest-Verlag veröffentlichte bereits 2014 ihr Kinderbuch „Die Heizung im Hühnerstall – Als Oma ein Mädchen war“ und 2016 das kleine Mutmach-Büchlein „Rosen-Opas Paradies“.
 
Illustration: Anne Vockeroth (geb. 1971, aufgewachsen in Erfurt) Malerin und Ergotherapeutin. Sie zeichnete schon als Schülerin und konnte bereits als zwölfjährige an einer internationalen Ausstellung teilnehmen. Seitdem wurden ihre Bilder in mehreren Gruppen- und Soloausstellungen präsentiert. Mit der Krebserkrankung ihrer Tochter, erkannte sie die Bedeutung von Lebensfreude und Humor als Bewältigungsstrategie, trotz aller Bedrohlichkeit, die diese Krankheit für die ganze Familie mit sich bringt.