In der lektoralen Arbei: Nicoleta Craita Ten'o 'Die Naht des Silberschuhs'


 


Ein ganz besonderer Jugendroman liegt nun von Noicoleta Craita Ten'o vor. In der von ihr gewohnten sprachlichen Brillianz legt sie einen Jugendroman vor, der die Thematik  so eindringlich macht, wie man sie wohl noch nie in einem Roman zu lesen bekommen hat. Ein Meisterwerk.

(anbei Pressebericht über Leusng von Nicoleta Craita Ten'o)

 

 

Nicoleta Craita Ten’o

Die Naht des Silberschuhs

 

Kapitel I

In dem Vakuum deiner Hände meine gefangen, gegen das Brett deines rauschenden Blutes das linke Ohr gedrückt, so beschloss ich die Welt umzubenennen. Auf der Suche nach einem passenden Namen, durchquerte ich die steilen Gebiete deines Körpers, der Angst vor Gestern und Morgen, sammelte die länglichen Stiele des Esspapiers, das das Kind in dir als Notfallmedizin bei sich trug, auf, probierte die Kleider aus deinem Kleiderschrank, erkämpfte mir einen Platz in der Loge bei der Aufführung einer deiner nächtlichen Albträume. Auf der Suche nach einem geeigneten Namen für die Welt, schoben meine Knie die Gipfel beiseite, um die Sonne im Gesicht zu spüren, brach meine Stimme in der Stille einer Kirche aus, dem Summen eines Wiegeliedes erliegend, sprossen die Sporen jener Pusteblumen aus, denen ich – gedankenverloren - Fliegen beibrachte. In der Dunkelheit der Nächte danach, suchte ich nach einem besseren Namen für die Welt. Und fand einen Krug im Keller, ein großes Gefäß aus grünlichem Kupfer, mit garnichts gefüllt und staubig, eine Relikt vergangener Zeiten, der Anstoß, mein Leben einzutopfen. Einfach so, um es endlich an einem sicheren Ort zu bringen, einfach so, um es konservieren zu können.

Bei dem Versuch, mein Leben in einen Krug zu stecken, stießen meine Füße über wandernde Steine, deren zirkulare Spuren ich blind zu folgen versuchte. Die Wege, die sich dadurch ergaben, waren direkte Strecken in die Vergangenheit, eine Neuauflage meiner Kindheit. Der erste Schultag, den ich mit kurzem Haarschnitt in meiner geliehenen Uniform antrat. Der Wackelzahn an einem Samstagabend. Die Stunden des Bangens in dem Haus ohne Freude und die Augenblicke der Zufriedenheit. Die Quintessenz jedes menschlichen Daseins, seine Kindheit. Aus den Kindheitserinnerungen krabbelten die Sockenmonster empor, die Suppenkasper und die Ameisenfresser, durchdrangen die Klänge jener einsamen Nächte, die Furcht vor dem Morgenanspruch. Die Angst vor der Zukunft. Zur Kindheit fuhren auch alle anderen Spuren, die der Flugzeuge, der warmen Quellen, die mit Erbsen und Linsen gebaut. Es sah so aus als bestünde mein Leben allein aus diesen Kindheitserinnerungen, als wären diese nicht nur Ursache, sondern auch Folge jeder meiner Tat in dem unüberschaubaren Verlauf meines bisherigen Lebens …

 

Sie trug in der Hand eine Portion Traurigkeitspommes mit Blutketchup, die ihr über das Handgelenk geglitten war. Aber das Blut, bescheiden, das nicht mehr floss und nicht verschwinden wollte, widerlegte sämtliche Theorien und bot ein Bild der Verletzlichkeit, das sich in seiner Kraft und Wirkung von allem anderen unterscheiden ließ, was sie bisher erlebt hatte. Sie bewegt sich nicht, ballte die Hand zu einer Faust und streckte dann die Finger wieder aus. Heiße Tränen benetzten hin und wieder die surrenden, dünnen Augenlider, bewirkten, dass sie darüber nachdachte, und erloschen in dem Sumpf ihrer Gedanken. Was bringt eine Blume dazu, sich zu fürchten? Und Gott, wo war ER vorhin gewesen? Sie rutschte aus dem Fernsehsessel zu Boden, zog die Knie an die schmale Brust, spürte das Herz in den Oberschenkeln reden. Der Kopf war eine Discokugel, die am Ende eines Grashalms an dem Körper hing, sie ließ ihn fallen, und er fiel … tief. Sie schaute sich die Socken an. Zerkratzte mit den Fingernägeln ihre neuen Schnittwunden und sie bluteten noch einmal. Die Handgelenke färbten sich noch einmal purpurrot.