In der lektoralen Arbeit - Olaf Bröcker - Abschlussjahr. Roman

Der neue Roman beinhaltet als Handlungsebene den Raum der Schule, also dem ureigensen Arbeitsfeld des Autoren. In einem den Roman vorangestellten Brief stellt der Autor einiges klar, bevor das Handlungsgeschehen beginnt:

 

Sehr geehrter Herr Oberstudiendirektor Tietmeyer,

hier ist er also, der Roman über Ihre Schule. Wie abgesprochen lege ich diesem Brief an Sie das Manuskript bei. Vielleicht haben Sie nach unserem Gespräch gemeint, dass ich den Roman nicht schreiben werde oder dass ich irgendwann aufgebe. Aber die Geschichte Ihrer Schule ist fertig geworden.
Sie werden aber sehen können, dass ich mich in vollem Umfang an die Absprachen gehalten habe. Selbstverständlich musste ich das schon deshalb tun, weil Sie ja vielleicht eines Tages mein Vorgesetzter werden könnten. Aber das ist es nicht allein. Ich habe Ihre Kolleginnen und Kollegen während meiner Arbeit an ihrer Geschichte schätzen gelernt, in unterschiedlichem Umfang natürlich, aber doch insgesamt in dem Maße, dass ich den Roman unbedingt machen wollte. Und das ging ja nur, wenn ich mich an Ihre Vorgaben halte.
Damit dürfte auch für alle Leser klar sein, dass ich mich an die Wahrheit Ihrer Schule gehalten habe und nicht an die irgendeiner anderen. Die beteiligten Kolleginnen und Kollegen, die Sekretärinnen, die Eltern und die Schülerinnen und Schüler, sie sind Mitglieder Ihrer Schulgemeinschaft und nicht einer anderen Schule. Auch der Dezernent ist natürlich für Ihre Schule zuständig und für keine andere. Somit gibt es auch keinen Grund für eine Person, die sich an einer anderen Schule möglicherweise in vergleichbarer Funktion befinden sollte, sich etwa wiederzuerkennen.
Ähnlichkeiten gibt es, ich füge es an dieser Stelle hinzu, obwohl Sie das natürlich mindestens so gut wissen wie ich, an allen Schulen untereinander. Aber irgendjemand muss ja den Personalrat leiten, den Stundenplan machen oder auch im Sekretariat die Anrufe annehmen. Und eine Frauenbeauftragte muss es auch geben, und es ist nun einmal nicht erlaubt, dass dieser Posten nicht von einer Frau besetzt wird. Verhalten sich andere Lehrkräfte so wie die Personen an Ihrer Schule? Nun, ich denke, dieses Problem können wir, Sie und ich, ruhigen Gewissens den Leserinnen und Lesern überlassen. Sie werden es je auf eigene Weise lösen.
Und einen Namen muss eine Person auch haben. Sollte es Lehrerinnen oder Lehrer geben, die sich von einer Namensgleichheit oder -ähnlichkeit mit einer Lehrkraft Ihrer Schule beunruhigen lassen? Ich hätte natürlich die Namen Ihrer Kolleginnen und Kollegen verfremden können; allein: um möglichst niemanden in seiner oder ihrer Ruhe zu stören, hätte ich sie „Genoveva“ oder „Karlmann“ nennen müssen. Und hätte dies mir komplette Sicherheit gegeben? Sie wissen, wiederum eher besser als ich, welche Namen inzwischen in den Klassenlisten auftauchen.
Die Räumlichkeiten Ihrer schönen Schule sind ebenfalls nicht verfremdet worden; vielleicht erkennt ja eine Leserin oder ein Leser die Gebäude. Auch dies ist eine Möglichkeit, ein Denkmal zu setzen. Und das war schließlich der Anlass für Sie, mir überhaupt zu gestatten, diese Geschichte aufzuschreiben. Ich denke, nach Lektüre des Manuskripts werden Sie mir zugestehen, dass ich ein treuer Chronist war. Und so hoffe ich, dass Sie und Ihr Kollegium dieses Denkmal mit Freude und auch ein wenig Nachsicht aufnehmen.
Über Rückmeldungen würde ich mich selbstverständlich sehr freuen. Ihnen und Ihrer Mannschaft wünsche ich viel Erfolg im weiteren Berufsleben.