In der letzten Lektoratsphase: Volker Issmer: The Masters Slot

Volker Issmer

The Master's Slot / Der Anteil des Meisters

Geest-Verlag 2009

 

Volker Issmer, der mit Zahngold bereits einen Roman vorgelegt hat, der
in aller Intensität die Frage von Schuld und Sühne für den Holocaust
von heutigen Generationen thematisiert, hat nun die Arbeiten für sein
nächstes Romanprojekt beendet und das Manuskript vorgelegt.

The Master's Lot/Der Anteil des Meisters setzt sich intensiv mit den
Ideen von Stefan George und des George-Kreises auseinander und setzt
auch hier in der Verantwortungsdiskussion neue Akzente.

Hier ein kurzer Leseausschnitt:

Der Weg

Ein Schatten löste sich von der Felswand rechts neben ihm und glitt
pfeilschnell über ihn  hinweg. Gerald duckte sich unwillkürlich. Dann
richtete er sich wieder auf und starrte dem Vogel hinterher, der über
dem Pass verschwand.
„Hast du das gesehen? Ein Wanderfalke!“ Er war noch ganz überwältigt,
als er das zu dem Freund sagte, der inzwischen herangekommen war. „Ich
wusste ja, dass sie hier noch vorkommen. Aber das war der erste, den
ich je gesehen habe.“
„Das freut mich für dich. Aber sag mal, könnten wir nicht langsam eine
Rast einlegen? Du rennst ja die Berge hinauf wie eine Gemse. Den Falken
holst du doch nicht mehr ein.“
Hartmut stemmte die Hände in die Seiten. Er war rot im Gesicht und
keuchte. Die blonden Haare klebten an der Stirn. Er bückte sich nach
vorn, um das Gewicht des Rucksacks höher auf die Schultern zu
verlagern. Vielleicht habe ich ihn doch überfordert, dachte Gerald. Er
war ja früher schon wenig sportlich, und in der letzten Zeit, vor den
Prüfungen, hat er sicher kaum Bewegung gehabt.
„Ja, ist schon gut, machen wir eine Pause“, stimmte er zu.
Sie suchten sich einen Platz oberhalb des Weges, ein Stück weit von der
Felswand entfernt. Jetzt am Nachmittag stand die Sonne schon im Westen,
und die Schatten wurden länger.
Sie nahmen die Rucksäcke ab und setzten sich auf eine Steinplatte, die
ihnen beiden Platz bot. Sie hatte eine glatte Oberfläche, fast als sei
sie bearbeitet worden. Ringsum lagen unzählige solcher Steine in allen
möglichen Größen. Sie saßen in einer Wüste aus Trümmerplatten, die aus
der Schieferwand hinter ihnen herausgebrochen waren und den Hang bis
ins Tal hinunter bedeckten. Dazwischen lagen einzelne kompaktere
Quader, die auf ihrem Weg hangabwärts gebremst worden waren und an
denen sich Brombeeren und Efeu emporrankten. Einige dieser Abbrüche
aber waren weiter gerutscht und ruhten im Wasser des Flüsschens, das
sich durch das Tal schlängelte und an dessen Ufer vereinzelte Büsche
und Bäume standen, Weiden, Erlen oder Ebereschen vielleicht, vermutete
Gerald. Das schienen die einzigen größeren Gewächse in dieser Stein-
und Wasserwildnis zu sein, jedenfalls soweit er bisher beobachten
konnte.
Hartmut hatte inzwischen die Wanderschuhe aufgeschnürt und massierte
die geschwollenen Füße. „Ob ich die wohl jemals wieder in die Schuhe
bekomme? Aua!“ Zischend zog er die Luft zwischen den Zähnen ein und
seufzte, theatralisch, fand Gerald. Aber auch das kannte er ja von
früher.
„Nun stell dich mal nicht so an“, sagte er. „Sei lieber froh, dass es
heute nicht wieder so regnet wie gestern. Schließlich sind wir in der
Heimat des Regens, mein Lieber. Hast du das nicht gewusst? Da ist so
ein Tag wie heute Gold wert.“
„Ich sag ja schon nichts mehr.“
Hartmut wandte sich seinem Rucksack zu, öffnete ihn und holte eine
Wasserflasche heraus, die nur noch teilweise gefüllt war. Er trank sie
aus und verstaute sie wieder.
„Ob man wohl das Wasser da unten einfach so trinken kann?“ fragte er.
„Du warst doch schon mal hier. Ist das hier wohl noch sauber genug?“
„Ich weiß nicht. Das ist immerhin jetzt auch schon einige Jahre her.
Damals hab ich manchmal aus Bächen und Quellen getrunken, und mir ist
nichts passiert. Dann hab ich mal gesehen, wie ein Schaf ins Wasser
pinkelte, und da ist mir doch der Appetit vergangen. Aber ich hab noch
Wasser übrig, ich brauch nicht so viel wie du. Und heut abend können
wir uns ja wohl was abkochen. Du wirst schon nicht verdursten.“