Dieter Krenz - Erzählungen in der Isolation - der fünfte Tag (Literatur in schwierigen Zeiten)


Am Nachmittag des fünften Tages erschien Pauline bei unserem kranken Kind. Pauline war ein großes Mädchen und hatte immer einen wehenden Pferdeschwanz. Sie begann vom Wald zu erzählen, in den sie manchmal mit ihrem Großvater ging.

Mein Opa erklärt mir alle Bäume und Käfer. Er weiß sehr viel über den Wald. Einmal hatten wir ein Erlebnis, das ich nie mehr vergessen werde. Wir waren auf der Suche nach Bärlauch, aus dem mein Opa eine Soße machen wollte. Er wusste, wo der im Wald massenhaft vorkam. Ein schmaler Pfad führte zu dieser Stelle, einer Lichtung. Sie war umgeben von großen Buchen und Eichen; in der Mitte wuchsen viele bunten Blumen, und am Waldrand war ein Meer aus Bärlauch.

Schon begann mein Opa die ersten Pflanzen anzuschneiden und in seinen Korb zu legen, da hörten wir leise Knackgeräusche. Mein Opa setzte sich auf den Boden, ich auch. Gespannt lauschten wir. Plötzlich traten aus dem Wald mehrere Rehe hervor. Mein Opa legte seinen Finger an den Mund. Ich wusste, dass ich jetzt ganz leise sein musste. Die Rehe bemerkten uns zum Glück nicht. Sie fraßen das frische Gras. Das war wunderschön. Nach einer Weile hoppelte aus dem Wald uns gegenüber eine ganze Hasenfamilie heraus. Die Rehe unterbrachen nur kurz ihr Mittagessen. Die Hasen aber futterten auch. Sie kamen den Rehen so nahe, dass plötzlich ein Häschen unter einem Reh saß. Das sah so drollig aus. Schade, dass wir keinen Fotoapparat dabei hatten.

Mit einem Mal aber war das Schauspiel zu Ende. Ganz in der Nähe stellte jemand eine Motorsäge an. Die Rehe und Hasen waren in Windeseile verschwunden. Mein Opa und ich erzählen noch oft von diesem Erlebnis.

Weißt Du, wie der Wald heißen könnte?