Dieter Krenz - Erzählungen in der Isolation - der fünfundzwanzigste Tag (Literatur in schwierigen Zeiten)

Am Nachmittag des mittlerweile fünfundzwanzigsten Tages besuchte Jakob unser Kind, das noch immer zu Hause bleiben musste. Jakob war ein richtiger Naturbursche, immer draußen an der frischen Luft. Er schaute sich alles genau an: Gräser, Insekten, Zäune, Häuser und sogar die Straßen.

„Ich erzähle Dir die Geschichte von den Gläsern“, sprach er. „Im letzten Sommer gab es im Garten von meinem Opa ganz viele Pflaumen. Meine Schwester und ich kletterten auf einen Pflaumenbau, setzten uns auf einen Ast und futterten die Pflaumen, die vor uns hingen. Wir futterten um die Wette. Nach einiger Zeit meinte meine Schwester, dass sie bald platzen würde und gab auf. Ich aber aß noch ein paar Pflaumen mehr. Dann war auch bei mir Schluss. Mit vollen Bäuchen klettern wir vom Baum und legten uns auf die Liegestühle. Pflaumenessen ist eine anstrengende Arbeit. (Das kranke Kind kicherte.) Nach einer Stunde bekam ich fürchterliche Bauchschmerzen. Mein Bauch schien immer dicker zu werden. Ich sage Dir, das war fürchterlich. Ich hielt es einfach nicht mehr länger aus und ging zu meiner Tante Sophie, die gerade zu Besuch war. Die versprach mir eine wundersame und absolut unblutige Operation. Mir war das nicht sehr geheuer. Aber, dass sie von "unblutig" gesprochen hatte, beruhigte mich ein wenig. Erst mal ging sie in die Küche. Nach einer Weile kam sie mit ein paar Gläsern, Watte und Feuerzeug zurück.

Nun musste ich mich auf den Boden legen und den Bauch frei machen. Der war ganz schön dick. Sie legte etwas Watte in ein Glas und zündete es an. Gleich, nachdem die Watte verbrannt war, setzte sie das Glas mit der Öffnung nach unten auf meinen Bauch. Mit den anderen Gläsern machte sie es genauso. Ich war gespannt. Unter den Gläsern wuchs mein Bauch noch ein bisschen mehr. Tante Sophie zog nun mehrmals vorsichtig an den Gläsern, bis sie sich der Reihe nach lösten. Als ich aufstand, hatte ich zwar rote Ringe auf dem Bauch; aber er tat mir nicht mehr weh.

Findest Du einen Namen für diese Gläser?