Dieter Krenz - Erzählungen in der Isolation (Literatur in schwierigen Zeiten)


 

Nummer 1:

Das Kind war krank und musste für Wochen zu Hause bleiben. Zum Glück durfte es aber besucht werden.
So kam es, dass jeden Nachmittag ein anderer Freund oder eine andere Freundin vor dem Krankenbett saß.

Tag 2

Am nächsten Nachmittag saß die großgewachsene Susanne, die alle nur Su nannten vor dem Bett des Kindes.  Auch sie sollte ihm eine Geschichte erzählen. Su war nicht auf den Kopf gefallen. Sie hatte immer etwas Spannendes oder Lustiges  auf Lager,

Ich erzähle Dir, so begann sie, die Geschichte vom Schloss des Präsidenten. Das ist völlig aus Glas. (Dem Kind blieb der Mund offen stehen.) Von außen kann jeder sehen, ob der Präsident gerade auf dem Sofa liegt und schläft oder ob er am Schreibtisch sitzt und arbeitet. Auch wenn er aufsteht um sich in der Küche ein Stück Kuchen zu holen - jeder sieht es. Der Präsident ist nicht ganz dünn, weißt Du. (Das kranke Kind musste lachen) Wenn er im Badezimmer ist, zieht er Vorhänge vor das Glas. Das ist auch besser so. Nicht jeder möchte den Präsidenten dann sehen. Die Frau des Präsidenten bereitet in der Küche das Essen. Oft besteht das aus sogenannten Präsidentennudeln und der Feinschmeckersoße de luxe. Der Präsident liebt Nudelgerichte. Er wird auch gerne liebevoll in der Bevölkerung "die Nudel" genannt. (Das kranke Kind lachte lauthals.) Manchmal dampft es so sehr, dass alle Scheiben des Schlosses beschlagen sind. Dann muss der Hausmeister kommen und die Glasflächen reinigen. Das sind viele. Am tollsten aber ist es, wenn die Kinder des Präsidenten alle daheim sind. Die hören so laute Musik, dass die Glasscheiben vibrieren und dem Präsidenten beinahe die Ohren abfallen.  (Jetzt konnte sich das Kind vor Lachen nicht mehr halten und bat Su mit dem Erzählen aufzuhören.)


Weißt Du den Namen dieses Schlosses?