Ein Buch führt zum Straßennamen - Über die Einweihung der Alwine-Wellmann Straße in Osnabrück (aus der Osnabrücker Rundschau)

Alwine-Wellmann-Straße: viel mehr als eine geografische Wegbezeichnung

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Schildenthüllung und Lesung am Tag der Befreiung

Der Tag hätte passender nicht sein können: Am 8. Mai, exakt 79 Jahre nach der Befreiung der Welt vom nationalsozialistischen Terror, war der Osnabrücker Limberg der Ort einer besonderen Straßeneinweihung. Enthüllt wurde von Osnabrücks SPD-Bürgermeister Uwe Görtemöller ein Schild, das fortan, ausgehend vom Kreisverkehr Icker Weg, in die Alwine-Wellmann-Straße weist, die dann bis zur Vehrter Landstraße reicht. Die gute Beteiligung an der nachmittäglichen Schildenthüllung sowie an der abendlichen Lesung machten deutlich, dass Alwine Wellmanns Name fortan zu Recht eine Richtung weisen darf.

Dass sich jene Straße ausgerechnet auf dem Limberg befindet, besaß für das von den Initiatoren ausgesuchte Datum der Straßeneinweihung eine besondere Note: Wurde am 8. Mai die Welt vom NS-Terror befreit, haben diese Aufgabe in der Stadt Osnabrück britische Soldaten erfüllt, welche die Hasestadt am 4. April 1945 von der NS-Herrschaft erlöst haben. Ebenso waren es Briten, die auf dem Limberg viele Jahrzehnte lang ein Kasernengelände mitsamt etlicher Sozial- und Kultureinrichtungen unterhielten.

Über die Sozialdemokratin Alwine Wellmann, deren Lebensweg auch im von der OR publizierten Sammelband über den Widerstand in Osnabrück gegen in der NS-Zeit beleuchtet wird, hat die OR bereits in einer zuvor geschalteten Serie berichtet.


Ungleichgewicht zu Lasten weiblicher Straßennamen wird reduziert

Die neue Straße besitzt, neben der Würdigung Wellmanns, auch eine weitere wichtige Bedeutung: Sie reduziert das erhebliche Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Straßenbezeichnungen – was sich in einem Verhältnis von rund 400 zu 50 noch immer drastisch ausdrückt. Bürgermeister Uwe Görtemöller sprach dieses Problem deutlich an: „Hier wird eine Straße nach einer verdienten Frau benannt. Doch bei weiblichen Straßenbenennungen, das wissen wir alle, haben wir in Osnabrück gewaltigen Nachholbedarf. Frauen bilden die Hälfte der Stadtbevölkerung, aber nur einen ganz kleinen Teil der Menschen, nach bis heute denen Straßen benannt worden sind. Auch in dieser Hinsicht wird der Limberg bald ein Vorzeigegebiet sein.“

Der Bürgermeister bezog sich dabei auf einen Ratsbeschluss, der schon im Frühjahr 2020 gefasst worden ist. Nach der Alwine-Wellmann-Straße werden in Zukunft die Anna-Siemsen-Straße, die Elisabeth-Selbert-Straße, die Friederike-Nadig-Straße, die Helene-Weber-Straße, die Lisa-Hein-Straße, die Anna-Thalheim-Straße sowie die Ursula-Brandenburg-Straße folgen. Die Kita, die hier schon heute besteht, ist außerdem nach der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren benannt.

Wellmann-Biograf Heiko Schulze, der nach Görtemöller das Wort bekam, machte keinen Hehl daraus, dass ihm bei diesen Nennungen bestimmte Sozialdemokratinnen besonders wichtig sind: die erste Osnabrücker Parlamentsabgeordnete Alwine Wellmann trat den Nazis besonders konsequent entgegen. Anna Siemsen war nicht minder aktive Antifaschistin, eine der ersten Professorinnen, Politikerin, Autorin und Pazifistin. Die Sozialdemokratinnen Elisabeth-Selbert und Frieda Nadig waren beide als Mitglieder des Parlamentarischen Rates vor exakt 75 Jahren die „Mütter des Grundgesetzes“ – also direkte Kolleginnen des Osnabrücker SPD-Verfassungsvaters Hans Wunderlich. „Vor allem Selbert“, so Schulze, „ist es zu verdanken, dass die Gleichstellung von Mann und Frau gegen heftigen konservativen Widerstand im Grundgesetz verankert werden konnte.“

Vor allem entlang der lang gezogenen Alwine-Wellmann-Straße sollen sich in der Zukunft Adressen besonders zukunftsträchtiger Unternehmen mit vielen neuen Arbeitsplätzen finden. Daneben sind zahlreche Adressen für Sport- und Freizeitaktivitäten geplant.

Beide Fotos: Christoph Rickling
Beide Fotos: Christoph Rickling

Abendliche Lesung beim Stadtsportbund

Ralf Dammermann, Geschäftsführer des Stadtsportbundes (SSB), gestand anlässlich seiner Begrüßung im gut gefüllten Vortragssaal des Stadtsportbundes, gelegen an der Alwine-Wellmann-Straße 19, dass er am Tag des Einzugs seiner Organisation kaum etwas über die Genannte gewusst habe. Heiko Schulze, Autor der Wellmann-Biografie „Unsere Erste“, hätte zwischenzeitlich aber durch Überlassung seiner Biografie vieles über ihre Person erhellen können.

Schulze selbst berichtete zunächst über die Vorgeschichte zur Entstehung seines Ende 2018 veröffentlichten Buches: „Noch im Jahre 2000 habe ich es gerade mal geschafft, in einem SPD-Geschichtsbuch schlappe eineinhalb Seiten über Alwine zu schreiben, die stadtweit immer als ‚Rote Alwine‘ bekannt gewesen ist. Vor allem durch den späten Kontakt zu ihren ‚Ziehkindern‘ in Sofia konnte ich weit mehr über sie erfahren. Der leider kürzlich verstorbene US-Amerikaner Gernert Lorenzen, Sohn einer engen Freundin Wellmanns, steuerte aus der Hinterlassenschaft der Politikerin Hunderte privater Briefe, Fotos und sonstiger Unterlagen bei. Ich musste danach nur noch alles aufschreiben“, berichtete der Buchautor.

Indem er danach Auszüge aus dem Band vortrug und weitere Hintergründe erklärte, ergab sich ein umfassendes Bild aus dem Lebenslang der aktiven Kämpferin für Frauenrechte: Von 1924 bis 1932 war sie allererste Osnabrücker Mandatsträgerin, und zwar im Preußischen Landtag. Etliche Jahre lang war sie eine deutschlandweit begehrte Rednerin, die auch in anderen Städten immer wieder vor den Nazis gewarnt hat. Nach ihrer erzwungenen Flucht nach Bulgarien lebte sie dort von 1933 bis zur Rückkehr 1948. Zu leiden hatte sie durch die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft 1939, weil sie sich bis zuletzt geweigert hat, mit Nazis Kompromisse zu machen. Nach ihrer Heimkehr nach Osnabrück war sie am Wiederaufbau der Stadt und auch ihrer SPD beteiligt. 1950 bis 1953 war Wellmann bei der örtlichen Bezirksregierung Vertrauensfrau politisch Verfolgte.

Schulze: „1953 wurde ihr diese Funktion entrissen, weil im Adenauerstaat allmählich wieder alte Seilschaften Institutionen und Behörden übernahmen. Etliche NS-Opfer haben den Fortfall der Wellmann-Stelle damit bezahlt, keine Entschädigungsansprüche mehr durchsetzen zu können, für die sich Alwine Wellmann vorher immer ganz vehement eingesetzt hat.“

Zum Schluss seiner Ausführungen kündigte Autor Heiko Schulze an, in den gleichen Räumlichkeiten des Stadtsportbundes erstmals am 28. Mai, 19:00 Uhr, die ebenfalls von ihm verfasste Biografie des Sportpädagogen Ernst Sievers vorzustellen.