Gabi Anders - Sammelband Prosa, Lyrik, journalistische Texte (in der lektoralen Endarbeit) schafft Erinnerung

Eine Sammling ihrer wichtigsten Arbeiten im Bereich Lyrik, Kurzprosa und journalistische Arbeiten legt die Münchener Autorin Gabi Anders nun vor.

Vorwort

Bei der Zusammenstellung der Texte hat sich der Archivgedanke entwickelt und für mich einen Sinn ergeben. Lyrik, Kurzprosa, journalistische Arbeiten und Notizen, Protokolle dokumentieren gesellschaftliche Realität und individuelle Erfahrung über einen Zeitraum von mehr als 35 Jahren.
Beeinflusst und inspiriert hat mich dabei der Fotoband „Revolutionäres Archiv“ von Jochem Hendricks und Magdalena Kopp. Die beiden haben das Frankfurter Archiv der Polizeifotos von 1973-85 bearbeitet: „... rote Fahnen, Hausbesetzer, Geiselnahmen, Bankeinbrüche, Kundgebungen, der Kampf gegen die Startbahn West. Die Welt aus der Sicht der Polizei. Ein ganzes Archiv voll bleierne Zeit. Der Staat betrachtet seine Feinde. Eine hat nun zurückgeblickt. Eine, die selbst im Visier war.“ (SZ 7./8.11.15) Die Fotografin Magdalena Kopp.
„Das künstlerische Interesse an der Ästhetik eines Archivs spielt seit der Moderne eine Rolle. Sammeln und Archivieren beinhaltet eine Vorstellung von der Überwindung der Zeit und bezeichnet somit ein zentrales Motiv künstlerischer Arbeit ...“ (Revolutionäres Archiv, Jochem Hendricks, Magda-lena Kopp, Köln, 2015, S. 18)
Mit Archiv assoziiere ich die verschlossene Kiste, den verstaubten Karton im Keller, vergilbtes Papier, Texte geschrieben mit Schreibmaschine, den unentdeckten Schatz, aber auch die wissenschaftlich anmutende Reihung, die Sprödigkeit des Materials, die holprige Sprache, all das bietet ein Anregungspotenzial – möglicherweise.
Ähnlich sieht es die Band „Banda Bassotti“, die ich auf einer Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin kennenlernte und zu deren wilder Ska-Musik wir nachts leidenschaftlich getanzt haben. Ihre CD „Asi‘es mi vida“, auf der sie mitreißende Lie-der des internationalen Befreiungskampfs und des antifaschistischen Kampfs aufgenommen hat, begleitet sie mit dem Text:
„Ohne Erinnerung gibt es keine Gerechtigkeit, keinen Frieden, keine Zukunft
Future is a memory. Memory not anchored in the past but projected into the future. Memory of the victories and above all the defeats. Able to learn from errors without disowning anything; opening new frontiers, cultural, social and politi-cal with new found energy. Fighting again against the twis-ted society genetically unjust. Telling this story of love and memories with fighting rhythm present in our DANN ... Of many songs from the movement it seemed only right to put to music a poem from Pablo Neruda, that describes natural-ly our life: „I am from the people and I sing for the people ...“
Nicht zuletzt habe ich mich auf Spurensuche begeben, nachdem meine Mutter und mein Vater im Abstand von sechs Monaten gestorben sind, in Ordnern, Kisten, Texten, Fotos habe ich versucht, die Wirklichkeit wiederzufinden, neu zu entdecken und zu forschen mit dem Blick einer Frau, einer Frau, die Tochter einer Fabrikarbeiterin und eines Werkzeugmachers ist und schon als kleines Mädchen beim Abendessen am Küchentisch Diskussionen über Politik, Liebe und Leidenschaft, Kräfteverhältnisse im Betrieb und Kämpfe für Gerechtigkeit in sich aufgenommen hat.