Gedanken und Bilder zum Leseabend am 19.02.2010 des Elternverband Ruhr e.V. , von Dr. Ali Sak

Gedanken zum Leseabend am 19.02.2010 des Elternverband Ruhr e.V.
mit Dr. Artur Nickel, Dr. Andreas Klink, Elmast Kaya, Mohammed Kaya, Cansu Ağarmış und Farwa Ahmadyar
„Ruhrkulturen. Was ich dir aus meiner Welt erzählen möchte“

Der Elternverband hatte sich vor knapp zwei Jahren die Bildungs- und Integrationsarbeit auf die Agenda geschrieben. Daher gehören Lesungen und Diskussionsabende  mit Schriftstellern, Journalisten und Politikern mittlerweile zum Standard der Vereinsarbeit. Neu war für uns die Erfahrung mit Jugendlichen, die weder Schriftsteller, noch Politiker sonst irgendwelche bekannten Persönlichkeiten sind, aber durch Ihr Schaffen und Ihre Gedanken zur Persönlichkeit schlechthin geworden sind. Vier von diesen außergewöhnlichen Jugendlichen hatten wir zu Gast. Was sie geschaffen haben mag auf den ersten Augenblick nur unscheinbar klingen. Sie haben Ihre Gedanken, zum Teil Ihre persönlichen Geschichten zu Papier gebracht und dies wurde von zwei engagierten Mentoren (Dr. Klink und Dr. Nickel) in Zusammenarbeit mit dem Geest Verlag publiziert.
Was diese Jugendlichen hier so bemerkenswert macht ist die Tatsache, dass Sie durch Ihre Geschichten unsere Herzen geöffnet haben. Es war sicherlich ein Nehmen und ein Geben; ein Dialog auf Augenhöhe. Sie haben uns ihre Herzen, ihre Welt geöffnet und dadurch unsere Herzen erobert. Vielfach fanden wir uns auch selber in den Geschichten; wie wir in dem Alter gedacht haben und vielleicht auch noch denken. Durch ihre Geschichten haben Sie die stählernen Tore einer Welt geöffnet, in die man als Erwachsener ungern hineingeht. Eine Welt die von Vorurteilen beherrscht ist. Vorurteile über die „integrationsunwilligen Ausländer“, über die „faulen Asylbewerber“, über „Zwangsheirat“, über „den Integrationsort Schule“.

Elmast Kaya erzählt eine Geschichte über die Ängste einer heranwachsenden Muslima, Ihre Liebe zur Familie, und Ihrer Traditionen. Eine sehr authentische und detailreiche Geschichte, der man keinen Augenblick merkt dass Sie der Phantasie entstammt. Eine Geschichte, welche die Zuhörer in den Bann gezogen hat. (18 oldum-ich bin 18 geworden)

Mohammed Kaya trug ein Gedicht über sein Verhältnis mit seinen Eltern vor. Ein Zwiespalt öffnet sich zwischen den Welten in denen Mohammed zuhause ist. Zum einen die engen Bindungen zu den Eltern und zum anderen die Erfordernisse der hiesigen Gesellschaft. Mohammed beschreibt sein Navigationssystem (Mein Navigationssystem)

Cansu Ağarmış erzählt eine Reise mit Hindernissen. Eine Reise beginnend in der Schule, in der Sie die ersten Erfahrungen mit der hiesigen Gesellschaft macht, in der Sie langsam hineinwachsen und sich wohlfühlen sollte. Wohlfühlen? Wie kann sich ein Kind wohlfühlen, wenn die Rucksäcke der deutschstämmigen Mitschüler im Elternhaus mit Vorurteilen statt mit Süßigkeiten gefüllt werden. Wenn die Kinder geprägt von diesen Vorurteilen von „scheiß Ausländern“ reden; oder wie Cansu treffend beschreibt Sie mit „dummen Fragen“ konfrontiert wird. Vorurteile, die normalerweise in den Schulen abgebaut werden sollten, aber im Zuge der Reise von Cansu noch verstärkt werden. Wie kommt es dass Kinder mit Migrationshintergrund gegen Ende Ihrer Schulzeit sich immer weiter von der hiesigen Gesellschaft entfernen? Schulen, die eigentlich der Schmelztiegel der Integration sein sollten, führen eher zur Wundbildung. Wunden deren Nähte Mann oder Frau das ganze Leben lang mit sich trägt. Die Reise von Cansu führt gerade Menschen mit Migrationshintergrund, die hier Ihre Schulzeit hinter sich gebracht haben, dazu, dass diese Wundnähte wieder zum Vorschein kommen. Während Cansu liest mache ich eine Zeitreise in meine eigene Vergangenheit, in die Zeit als ich so alt war wie Cansu. Ich versuche zu vergleichen. Es scheint sich nichts verändert zu haben. Aktuell scheint sich die Situation vielerorts sogar noch verschlimmert zu haben. Meine Gedanken schweifen in die jüngere Vergangenheit. Es ist nicht lang her, nur einige Wochen ist es her. Ich kann man mir nicht erklären, dass in einer Essener Grundschule, 80 Kinder die in Begleitung eines Musiklehrer Musik und Tanzübungen durchführen und 40 Mütter, die regelmäßig ein Elterncafe besuchen und von einer Muttersprachenlehrerin betreut werden, seitens der Deutschen Kollegien nicht mehr gern gesehen sind und ihnen daher die Türen verschlossen werden. Und man klagt anderorts darüber, dass man die Eltern mit Migrationshintergrund nicht erreichen kann. Ist dies nur ein Vorwand, gar ein bekanntes Vorurteil? Cansu und Ihre Geschichte haben mich und die Zuhörer nachdenklich gestimmt über die Integrationsbereitschaft der hiesigen Gesellschaft. Es gibt aber Anstöße zur Verbesserung, denn aus Fehlern sollte man lernen können. Auch wenn es lange dauern wird, ich bin überzeugt dass es gelingen wird (Eine Reise mit Hindernissen).

Farwa Ahmadyar, eine junge Muslima aus Afghanistan erzählt die erschwerliche Geschichte ihrer Familie aus Afghanistan. Eine Welt, die vielen von uns nur aus dem Fernsehen oder sonstigen Medien bekannt ist. Eine bedrückende aber doch hinreißende Geschichte einer Reise in die unbekannte Zukunft. Die Flucht aus Unterdrückung, seelischem Folter und  Ungerechtigkeit. Die Suche nach Freiheit, Geborgenheit und Gerechtigkeit. Doch da wo Sie angekommen sind und geglaubt haben dies alles zu finden, blieb nur der Glaube. Denn die Wirklichkeit ist ganz anders. Akademische und gut ausgebildete Eltern, die bereit sind alles zu tun um Ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen, aber sie es nicht dürfen, weil Sie „Asylanten“ sind. Und andernorts liest man in den Schlagzeilen der hiesigen Boulevardzeitungen „Asylbewerber verschwenden unsere Steuergelder“ oder „Warum kriegen Migranten häufiger Hartz IV als Deutsche?“ Die Antwort scheint offenkundig zu sein „Weil Sie arbeitsunwillig sind?“ Und Farwa sehnt sich zurück in ihre Heimat. Warum? Diese Frage blieb offen und wird es wohl lange bleiben. (Die Worte reichen nicht)
Zusammenfassend ist zu sagen, dass dieses Buch ein Abbild des Ruhrgebiets darstellt. Ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen, Lebensweisen und Denkweisen. Es ist allen zu empfehlen, die sich ein Bild von den Menschen des Ruhrgebiets des 21. Jahrhunderts machen wollen. Ein Versuch den Nachbarn nebenan zu verstehen. Ein Versuch Vorurteile abzubauen.
Viel Spaß beim Lesen und verschenken.
Danke allen die daran mitgewirkt haben. Vor allem aber den Jugendlichen die Ihre Herzen geöffnet haben.
Dr. Ali Sak
Elternverband Ruhr e.V.