Geht in die Autorenkorrektur: Lilo Almstadt & Heinz Meyer: Deine Hilfe macht Mut. Ehrenamtliche Flüchtlingshilfe

 

Lilo Almstadt

& Heinz Meyer

Deine Hilfe macht Mut

Ehrenamtliche Flüchtlingshilfe

Geest-Verlag 2017

 

Wie eure Hilfe ankommt

Eine Einleitung von Ismaeel Foustok   

 

Als ich als junger Mann auf der Flucht war, haben mir viele Menschen geholfen. In Griechenland habe ich während der Flucht zum Beispiel ein deutsches Mäd­chen kennengelernt. Die Fluchtgruppe, mit der ich da­mals unterwegs war, hatte zu dem Zeitpunkt müde und abgekämpft eine Kreuzung in einer griechischen Stadt erreicht. Von der griechischen Insel Kos aus waren wir ohne Pause unterwegs gewesen. Wir saßen im Schatten und plötzlich trat das Mädchen auf uns zu. Sie bot uns Brot und Obst an, sie war wirklich nett. Zuerst war es wie ein Schock für mich, da ich es über­haupt nicht gewohnt war, Hilfe von jemand Fremdem anzunehmen. Doch das Mädchen gab wirklich jedem von uns Obst und Brot. Schließlich kam sie noch ein­mal auf mich zu, denn sie hatte gemerkt, dass außer mir keiner der Fluchtgruppe Englisch sprechen konn­te.

„Wie geht es euch? War es schwer bis jetzt? Braucht jemand von euch ärztliche Hilfe?“, fragte sie mich.

Zum Glück hatte unsere Gruppe den Weg bis Grie­chenland relativ problemlos bewältigt, niemand hatte sich verletzt, war bedrängt oder drangsaliert worden. Das Mädchen begann, sich ausführlicher mit mir zu unterhalten. „Wie alt bist du? Geht es dir gut? Bist du allein unterwegs? Was ist dein Ziel?“, fragte sie mich auf Englisch.

Damals war ich 16. Ich wollte nach Deutschland. Damals kannte ich nicht viele deutsche Städte, des­halb sagte ich: „Ich will nach Hamburg, Hannover vielleicht oder Berlin.“

Ihr Gesicht überzog sich bei meiner Antwort mit einem kleinen Lächeln. „Ich komme aus Hamburg“, bemerkte sie, „wenn du nach Hamburg kommst, hier ist meine Handy-Nummer und E-Mail-Adresse. Wenn du irgendeine Hilfe brauchst, sag mir einfach Be­scheid. Ich werde für dich da sein und du bist mir herzlich willkommen in meinem Zuhause.“ Schließ­lich gab sie mir noch eine arabische Bibel und ver­abschiedete sich von uns.

Das war aufregend und überraschend. Es war das erste Mal, dass ich eine Bibel sah. Ich hatte schon viel von der Bibel gehört, hatte immer schon einmal in ihr lesen wollen, aber bis dahin noch keine Möglichkeit dazu gehabt. Ich nahm sie mit auf den weiteren Fluchtweg über Ungarn. Dort wurde mir alles, was ich besaß, genommen. Selbst mein Handy wurde mir gestohlen. Auch alles, was ich von dem Mädchen bekommen hatte, war fort. Bis heute überlege ich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich noch heute mit ihr Kontakt hätte. Ich wünsche mir, dass ich sie fände, und ihr sagen könnte: „Danke, dass du so nett zu mir warst. Ich bin gesund nach Deutschland gekommen. Ich kann die deutsche Sprache schon gut sprechen und auch sonst geht es mir ganz gut ...“

Am 25. August 2015 kam ich nach Bremen. Mein Leben war wie das eines jeden Flüchtlings. Zu­erst lernte ich die Stadt kennen und ein bisschen die Sprache. Es war Oktober, die Zeit des Bremer Frei­markts. Natürlich war es mein erster großer Markt, den ich je im Leben besucht habe. Als ich dort war, spielte ich mit all dem Spielzeug, das es dort gab, schaute die Fahrgeschäfte an und vieles mehr.

Es entwickelte sich dabei ein seltsames Gefühl bei mir, es war wie eine Mischung aus Trauer, Ärger und Hoffnung. Ich war traurig, weil meine Eltern und Geschwister nicht bei mir sein konnten. Ich war ärgerlich, weil ich allein hier war und bei mir alles gut lief. Ich hatte sogar schon Freunde und war immer glücklich. Ich hatte alles, was ich mir erträumt hatte. Aber meine Eltern waren nicht da, sie lebten immer noch im Kriegsgebiet und ich konnte nichts dagegen machen. Dieses eigenartige Gefühl entwickelte sich fortan häufiger, vor allem, wenn ich auf einem Aus­flug war oder auf einem Fest.

Da Bremen viele Flüchtlinge auf einmal aufgenom­men hatte, dauerte das Asylverfahren länger als üblich. Ich musste ein Jahr auf meine Aufenthaltsgenehmi­gung warten. Es war vier Monate vor meinem 18. Ge­burtstag, als ich sie bekam. Ich hatte viele Leute gefragt, ob ich eine Familienzusammenführung noch schaffen könnte vor meiner Volljährigkeit. Alle hatten es verneint: „Du wirst es nicht mehr schaffen, dir ver­bleibt nicht mehr genügend Zeit.“

Aber das Gegenteil von dem, was mir alle Leute sagten, ist eingetreten. Ich weiß nicht, ob es das Schicksal war oder das Glück. Vor allem aber war es die Hilfe der besten Menschen, die ich in der Zwi­schenzeit kennengelernt hatte. Sie halfen mir und haben den schnellsten Weg für die Familienzusam­menführung gesucht und gefunden. Noch aber wartete und wartete ich.

Die Zeit des zweiten Freimarkts im Oktober 2016 war bereits gekommen. Am ersten Tag bin ich nicht dort hingegangen, weil ich dieses Gefühl von Trauer, Ärger und Hoffnung wie im Vorjahr nicht noch ein­mal erleben wollte.

Ich war mir auch immer noch nicht sicher, ob meine Eltern wirklich nach Deutschland kommen könnten. Jedoch zwei Monate vor meinem 18. Ge­burtstag, am 9. November, erhielten meine Eltern endlich die Erlaubnis, nach Deutschland auszureisen.

Das war einer meiner besten Tage, die ich in mei­nem bisherigen Leben erlebt habe. Am allerbesten war der 30. November, der Tag, an dem ich meine Eltern wiedersehen durfte. Ich fuhr mit meinem Betreuer nach Hamburg, zusammen mit drei von meinen besten Freunden, die die Familienzusammenführung leider nicht geschafft hatten, weil sie schon 18 gewor­den waren.

Ich wartete mit ihnen am Flughafen. In der An­kunftshalle hoffte ich, dass meine Eltern endlich durch die Tür traten. Die Tür öffnete sich immer wieder und mir unbekannte Menschen kamen heraus. Dann end­lich sah ich meine Eltern. Ich umarmte meine Freunde und rief lauthals: „Da sind sie!“

Zuerst küsste ich die Hand meines Vaters, dann umarmte ich ihn. Mein Vater weinte, er hielt seine Tränen nicht zurück, weil er glücklich war, seinen Sohn, der ihn vor eineinhalb Jahren verlassen hatte, gesund wiederzusehen. Meine Mutter stand hinter meinem Vater. Auch sie weinte. Sie umarmte mich, schaute in mein Gesicht, ohne etwas zu sagen.

Das war einer der schönsten Momente in meinem bisherigen Leben, endlich sah ich meine Eltern wieder. Jedes Mitglied unserer großen Familie, die immer noch zu großen Teilen in Syrien ist, sagt voller Stolz, dass ich, der 16-jährige Junge, der sich allein auf den Weg nach Deutschland gemacht hat, es geschafft hat, sogar seine Eltern aus den Schrecken des Krieges herauszuholen, und dass er in der Fremde erwachsen geworden ist.