Hans-Hermann Mahnken - St. Jacobi

St. Jacobi

Ein roter Backsteinbau mit hohem Turm
samt einer Spitze, die streng die Richtung wies
und keine Zweifel ließ: So stand sie da,  
ein Fels, umrahmt von schweren Schmiedeeisen.

Ich saß im Konfirmandenunterricht,
trug schwer an all den nicht gestellten Fragen,
doch an den Antworten trug ich noch mehr.
Wem konnte ich schon meine Nöte sagen?

Und dann: Da war ein Pochen in den Schläfen,
als ich (wir war’n zu zweit im Kirchenschiff
und brachten frische Blumen für die Feier)
sie küsste und an ihren Busen griff.

Sie wusste, wie es geht, schon sehr genau,
allein – ich kannte nur die Theorie.
Doch ist die Theorie bekanntlich grau,
sodass sie kichernd aus der Kirche lief.

Die Tür schlug zu. Und ich stand da und lauschte:
Die Tauben gurrten vor den großen Fenstern,
und draußen auf der Straßenkreuzung rauschte
auf nasser Straße der Berufsverkehr.

Wie lange ich so stand? Ich weiß es nicht.
Und um es gleich zu sagen: Nichts geschah.
Kein Licht, kein Engel offenbarte sich,
ich war allein und stand nur lauschend da.

Doch plötzlich diese wundersame Ruhe,
die Leere ist und aus der Zeit enthebt …
Der Küster kam, die Kirche abzuschließen.
Ich ging hinaus, traf sie und schwieg.  

Ein Suchender bin ich seitdem. Wonach  
ich dabei suche? Ich weiß es nicht genau.
Ich suche es in Kirchen, alten Schriften,
bei Weisen, Narren und am weiten Meer …
–    und manchmal auch bei einer Frau.


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