Hans-Hermann Mahnken - Wiedersehen (Literatur in schwierigen Zeiten)

Wiedersehen


Als wir uns das letzte Mal trafen,
es war im Dezember,
lag die Stadt unter einer dicken weißen Decke.
Es schneite unaufhörlich,
der Verkehr kam fast zum Erliegen.

Wir schreiben wieder Dezember,
und es regnet.
Der Zug fährt langsam in den Bahnhof ein,
kommt quietschend zum Stehen.
Türen klappen, eine Menschenmenge
ergießt sich auf den eben noch leeren Bahnsteig.

Suchend schaue ich umher. 
Dann steht er vor mir: Die Haare etwas grauer,
das gleiche jugendliche Lächeln, fremd und doch vertraut.
Wir umarmen uns kurz, 
ein leichter Schlag auf die Schulter,
wir gehen los, reden, lachen,
knüpfen an Vergangenes an.
Jeder spielt in der Biografie des anderen
episodenhaft eine Rolle.
Die Erinnerung dieser Vergangenheitspartikel
bilden unsere Koordinaten im Namenlosen.

Nach dem Essen werden wir die alte Bar im Viertel aufsuchen („da war ich schon ewig nicht mehr“) 
und trinkend die Landkarte unserer Erinnerungen ausbreiten. 
Später, beim Abschied auf dem Bahnsteig,
werden wir von einem nächsten Mal ausgehen,
werden Absichten äußern.