Heute im Verlag - Abschlussworkshop für das Buchprojekt mit den Slampoeten im Verlag


 


An diesem Samstag gibt es einen Abschlussworkshop der Slampoeten zu ihrem neuen Buch. Beginn: 10.00 Uhr im Geest-Verlag

 

In Liebe an dich

16.00 Uhr ¬¬¬¬¬¬– Ich muss endlich los… Beeil dich – sie hält nicht mehr lange durch –  Ich glaube sie wartet auf dich, hallen die Worte meiner Mutter in meinen Gedanken wieder. Ich bin auf der Autobahn, irgendwo zwischen Braunschweig und meiner Heimat.
Beeil dich – sagt nun auch die Stimme in meinem Kopf. Die Sekunden vergehen… die Minuten… die Stunden.
19:00 Uhr – Ich halte, klingle, die Tür öffnet sich und in meinen Gedanken hallt immer noch – Beeil dich.
Ich gehe langsam zu ihr, sie hört mich, öffnet die Augen und versucht zu mir zu kommen. Aber es klappt nicht, sie kann nicht mehr aufstehen, sie ist zu schwach. Ich hocke mich neben sie, ziehe sie auf meinen Schoß und bin so froh, dass sie noch da ist, obwohl ich so furchtbare Angst habe – Angst sie zu verlieren. Ihr geht es schlecht, dass sehe ich sofort. Sie ist nervös und wieder höre ich die Stimme meiner Mutter in meinen Gedanken – sie hat auf dich gewartet…
Da bin ich nun und streichle sie, sie kann kaum atmen. Alles scheint ihr schwer zu fallen. Ich möchte ihr so gerne helfen, ihr etwas von meiner Luft, meiner Kraft geben. Wir schauen uns in die Augen und ich weiß was sie will, ich weiß genau was sie will. Aber ich kann nicht, ich kann es ihr nicht sagen. Nein, es ist verdammt nochmal nicht okay das sie geht, ich will das nicht, es tut so weh. Sie schaut weg und es tut mir leid, es tut mir leid, dass ich so egoistisch bin. Sie atmet schwer. Ich schaue sie noch einmal an und dieses Mal sage ich es, ich sage es ihr mit meinen Augen, es ist okay. Sie miaut…
Ich gehe raus, lasse sie schlafen, sie braucht ein wenig Ruhe. Die Sekunden… die Minuten… die Stunden vergehen und ich habe Angst.
21:55 Uhr – Ich höre sie, springe auf, ich bin da. Und dann… dann geht alles ganz schnell…der letzte Blick, die letzte Bewegung, der letzte Atemzug, dann ist sie fort, gegangen… und ich, ich bin noch hier. Ein Schleier legt sich über mich, über alles, über jede nun kommende Sekunde.
Alles in mir ist taub und tut so unglaublich weh. Ich war 11 Jahre als sie geboren wurde, jetzt bin ich 31. Sie war immer da, immer da, wenn ich sie brauchte.
14:00 Uhr – Das Loch wird tiefer und tiefer, ich buddle, ein Loch, wofür, ich will nicht daran denken. Es ist warm und mir ist schlecht, einfach nur schlecht. Der Karton steht neben mir, neben mir auf der Couch. Was da drinnen ist, ich will nicht daran denken. Es ist Zeit – ich weiß, aber ich will nicht daran denken. Alles in mir tut weh.
16:00 Uhr Das Loch wird kleiner und kleiner, ich schaufle, dieses Mal in die andere Richtung, warum, ich will nicht daran denken. Ich sammle Steine, kaufe Blumen, wofür, ich will nicht daran denken.
Ich fahre zurück, nicht in meine Heimat, sondern an den Ort an dem ich arbeite. Über mir liegt immer noch dieser Schleier, dieser Schleier der Leere, der Schwere und des Schmerzes.
Meine Gedanken sind bei ihr, einzig und allein bei ihr und alles andere läuft ab, läuft ab ohne meine wirkliche Aufmerksamkeit zu bekommen.
Sie ist fort und dennoch war sie mir in meinem Herzen noch nie näher, meine Erinnerungen an sie noch nie voller und meine Liebe zu ihr noch nie stärker als jetzt.
Ich sehe sie in meinen Träumen. Nicht so wie früher, es ist anders. Sie ist mir dort so verdammt Nahe, dass ich am nächsten Tag gar nicht richtig wach werde. Das gesamte Jahr war ich nicht wirklich wach, ich war nicht hier, denn der Schleier, dieser Schleier, er hat mir vieles genommen…genommen oder mich geschützt…ich weiß es nicht.
Aber was ich weiß:
Jede Zelle in meinem Körper erinnert sich an sie,
jede Zelle reagiert bei einem Gedanken an sie,
jede Zelle liebt bedingungslos auch über den Tod hinaus.
So wie jede Zelle in mir jeden Morgen auf das Licht der aufgehenden Sonne reagiert, so kann auch jede Zelle in mir jeden Tag eine Botschaft hinaus senden und es wird sie erreichen.
Ja, es wird sie erreichen…
Und sie wird immer da sein, in meinem Herzen, meinen Erinnerungen, meinen Träumen…


Antonia  Wengert