Jenny Schon - Aujourd'hui nous sommes tous français - Ein Liebeslied für Frankreich



13.11.15
Aujourd'hui nous sommes tous français

Ein Liebeslied für Frankreich

 

ich wär gerne jeden tag ein Franzos

Paris zog magisch als ich jung

die Provence war lebensstil

sie hatten noch plumsclos damals

aber kultur beim menü

sie rauchten Gitane

und malten wie die götter

und alle frauen sahen aus wie Sylvette

in St.Tropez war noch der zauber

der wellen und der geschmack

von fischsuppe in Deutschland hätte ich

sie nicht gegessen in Deutschland

habe ich versucht ein Franzos zu sein

es gelang mir ich summte

die Marseillaise den text

konnte ich nicht

aber ich verstand sie mit dem

herzen

Gleichheit Freiheit

Geschwisterlichkeit

ja ich wär gern ein Franzos

 

mein vater hat bei einem gearbeitet

sie rauchten um die wette selbstgedrehte

in den mundwinkeln hängend und tranken

rotwein auf den dächern im Rheinland

die sie flickten nach einem krieg

und die Baskenmütze hing schief im wind

da liebte ich meinen vater noch

meine uroma war dat Bärbelchen

aber Napoleon nannte sie Babette und der uropa

war der Schäng jetzt flanierte

er als Jean den Boulevard entlang

ja, ich wär gern Franzos


die nachbarn buken waffeln

die gasse duftete danach

belgisch hieß es

manchmal schenkten sie mir eine

sie sprachen französisch

und ich sagte merci

fischsuppe und waffeln

 
das ist der geschmack von Frankreich für mich

Gitane und Greco der pferdeschwanz

von Sylvette war einsame spitze

aber Freiheit, Freiheit, das war

das größte und Gleichheit

war mir mit dem manne

ebenbürtig

Geschwister waren wir alle….[i]

 

 

 

aus: endlich sterblich, Gedichte, Geest Verlag, 2016

[i] Das Gedicht ist Frankreich gewidmet. Am 13.11.2015 wurden durch islamistische Terroristen in Paris über 100 Menschen gemordet und ebenso viele schwer verletzt.

In den 1950iger Jahren prägte Picasso mit den Bildern von Sylvette

eine Stilikone einer jungen unkonventionellen Frau mit wippendem Pferdeschwanz, Brigitte Bardot, von Hause aus brünett, machte diese junge Frau nach und blondierte sich.

Sie lebte in dem unbekannten Fischerdorf St. Tropez an der Cote d’Azur, das ebenso zum Urlaubsziel von uns Existenzialisten wurde, wie die Provence, Camus und Sartre in der Tasche, in den Mundwinkeln eine Gauloises oder Gitane, ein Lied der Greco auf den Lippen.

Mein Vater war Dachdecker und hatte einen Franzosen Jacques zum Chef,

mit dem er die Kriegsschäden im Linksrheinischen beseitigte.

Die Belgier waren nach den Briten die Besatzer in unserem rheinischen Kreis, einige haben in die Nachbarschaft eingeheiratet.

Meine väterliche Familie war eine bäuerliche aus Sürth, heute zu Köln gehörend, und Schwadorf, heute zu Brühl gehörend.

In Zeiten Napoleons war der Kanton Brühl einer der zehn Verwaltungseinheiten im Arrondissement de Cologne, das zwischen 1794  bis zum Jahre 1814 existierte. Die Familienurkunden in dieser Zeit sind in Französisch geschrieben. Erst nach dem Wiener Kongreß, quasi dem Sieg über Napoleon, wurde das Rheinland preußisch. Es behielt aber seinen rheinisch, eher französisch geprägten Charme bis heute.

Obwohl ich in Böhmen geboren wurde und seit 54 Jahren in Berlin lebe, würde ich mich immer als Rheinländerin bezeichnen, denn die Jahre, die ich seit 1945 bis 1961 ausschließlich im Rheinland lebte, waren die prägendsten meines Lebens!

 

siehe auch meinen Roman, „…halbstark. Ein Roman der Nachkriegszeit, Geest Verlag, 2017