Jenny Schon Ausstellung 1968 – Kurfürstendamm
Jenny Schon
Ausstellung 1968 – Kurfürstendamm
1
gejagt vom Leben
ist das Wildtier in mir
müde geworden
die Steppenstute
grast nicht mehr
im Duft der Alphahengste
die internationalen
Filmfestspiele finden
anderenorts statt
mein Flattern übern
Kudamm gleicht dem eines
sterbenden Schwans
Fotos zeigen Freunde
den Wasserwerfern trotzend
noch ist der aufrechte Gang
ungebrochen beim Marsch
durch die Institutionen haben
auch sie Federn gelassen
ich suche dich
im Stakkato
von hohohoshiminh
und Leute lasst das Gaffen sein
kommt herunter reiht euch ein
walzten wir die Spießer platt
mir ist es fremd
geworden das Pflaster
in das abertausende
zornige Schritte den
Muff von hundert Jahren
stampften
2
der Alltag ist politisch
am Verkehrshäuschen verjagen
Romakinder mich
weil ich glotze
in meine Vergangenheit
während sie sich auf einer
Bank heimelig einrichten
ihre Mütter Babys stillen
und die Flaneure
mit dem Handy vor der Neese
mit Stöpseln im Ohr
nichts sehen nichts hören
Dieselskandale
wabbern heute über den
Asphalt Labelklamotten
haben die Buchläden
und Galerien verschluckt
das Filmhaus Wien wird
ein Bergfried in dem
Apple Store herrscht
als Zeitgeist
Ton ab Klappe… gewiß
ein neuer Film wird gedreht
die eigene Geschichte zu begründen
müsstet ihr erstmal lauschen
beobachten sortieren
müsstet ihr teilnehmen
nicht als Alien
als Mensch…[1]
aus: lautloses schweigen, gedichte, Geest Verlag, Herbst 2018
[1] Zum Gedenken an das Jahr 1968, das in Westberlin hauptsächlich durch Demonstrationen – meist von Studenten - auf dem Kurfürstendamm erinnert wird, ist eine Fotoausstellung bei dem denkmalgeschützten sog. Verkehrshäuschen installiert worden.
Die Fotos zeigen die allseits bekannten Begebenheiten wie den Vietnamkongreß und die anschließende Demonstration, das Attentat auf Rudi Dutschke, Ausschreitungen gegen Springers Verlagshaus, Kommunardenspäße etc.
Die einzige langfristig gesellschaftlich relevante Entwicklung aus der Potestbewegung, die Kinderläden und eine andere Erziehung und die gesellschaftliche und rechtliche Gleichstellung der Frauen ist nur ansatzweise gezeigt.
Auch viel zu wenig ist gezeigt, dass sich Gesellschaft nur verändert, wenn der Großteil der Gesellschaft, besonders der jungen Leute, mitmacht bzw. wie es gelingt, die sogenannten „Massen“ zu erreichen, was ja tatsächlich auf einen längeren Zeitraum hin gelungen war.
Weil auch das Kino den Kurfürstendamm seit Anbeginn stark geprägt hat, müsste an solchen Bauten, wo z.B. heute Apple residiert, eine Gedenktafel Kino Haus Wien etc., angebracht werden.