Jenny Schon - Ein lebendiges Gemälde (zum Internationalen Tag der Beendigung von Gewalt gegen Frauen)

Jenny Schon                                                   Ein lebendiges Gemälde
Einer Paschtunin gewidmet

Ein Gesicht
in Versatzbauweise
kostbar wie ein
Picasso Portrait
lächelt
eine Kerbe zwischen
Lippenrest und
Augenschlitz

Die Hand
die ich im Vorübergehen
streife voller
Narben
sie wollte das
Augenlicht schützen
ihr Atem strömt
als sie sich setzt

Ich höre ein
leises Pfeifen
unsere Knie
berühren sich
sorry sagt sie
ohne die Lippe
zu bewegen
ich möchte schreien
für sie

Ich möchte den
Täter in die Hölle
schicken wo alle
Säuren der Welt
herunterplatschen
auf dieses Ungeheuer
der Misogynie
Sie sollte keinem
anderen gehören
er wollte ihr die
Entscheidungsmöglichkeit
nehmen aber sie hat
entschieden -
zu leben
unter uns
ohne Schleier


aus: Jenny Schon, Fragen bleiben, Gedichte, Geest Verlag, 2020