Jenny Schon - Zum Mauerbau am 13. August 1961

Jenny Schon

Veröffentlicht in:  ZeitZeugenBrief August 2021, ZeitZeugenBörse e.V., Berlin


… auf nach Sibirien



Die Wörter Sowjet und Sibirien flößen heute kaum noch einem Angst ein. Anders meine Kriegskinder-Generation, deren Väter, wenn sie überlebt hatten, aus einem zerstörerischen Krieg zurückkamen, der das Synonym Stalingrad oder Sibirien hatte.
Für die Rheinländer, bei denen ich groß geworden bin, besonders die von der linken Rheinseite, denen Paris näher war als Berlin, begann Sibirien schon hinter der Elbe, also auch Berlin, das sich zwischen Elbe und Oder
befindet, also schon ziemlich weit östlich.
In dieser Stadt war nun am 13. August 1961 eine Mauer errichtet worden, um die Ostbewohner von den westlichen zu trennen. In Folge des 2. Weltkrieges war Deutschland und eben auch Berlin geteilt worden. In Westberlin waren die drei Mächte Amerika, England, Frankreich die bestimmenden, im Osten die Sowjets, dieser Teil wurde Hauptstadt der DDR. Obwohl auch die Sowjets 1945 den Potsdamer Verträgen zugestimmt hatten, versuchten sie immer wieder dieses Vertragsgebilde zu stören, Ausführende waren die DDR-Regierenden und ihre sogenannte Volksarmee. Diese baute nun die Mauer. Stein auf Stein.

13. August 1961
Nicht Stein auf Stein
Ein Kinderlied


Sprachlos - das Los fürs Sprechen
Begriff ich am Sonntagmorgen –
Des 13. August WDR Nachrichten
In Berlin wird eine Mauer gebaut
Stein auf Stein in unseren Herzen

Der Pfarrer predigt von der
Liebe des Christenmenschen
In Berlin wird eine Mauer gebaut
Singe ich im Kindergottesdienst
Stein auf Stein auf unseren Herzen

Die fleißigen Handwerker nein,
das  Haus darf nie fertig sein.
Das Haus wird ein Gefängnis kein
Zisch, zisch, zisch,
der Schreiner hobelt glatt den Tisch.

Auf dem Tisch liegen deine Akten
Nicht Kleider und nicht Schuh
Werden hinter den Steinen gefertigt
Poch, poch, poch,
der Volkspolizist schustert zu das Loch.

Und auch nicht Feierabend
wird es dort geben die Leuchtraketen
verscheuchen nachts die Träume kein
Tripp, trapp, drein, tripp, trapp, drein,
jetzt geh'n wir von der Arbeit heim.

Auch Keine Hochzeit kein
Liebchen von hüben und drüben
Von Stacheldraht wird ihr Brautkleid sein
zerrissen im hopp, hopp, hopp,
sie tanzen Stechschritt nicht im Galopp.

Ich ergreife das Los
Das mir zur Sprache verholfen
Ich schreie nein, niemals, nein
Ich fahr nach Berlin und
Reiße die Mauer ein


So dichtete ich damals. Ich war 18 Jahre alt und entschlossen, den Westberlinern zu helfen, weil die Arbeitskräfte aus dem Osten über Nacht abgeschnitten worden waren und im Westen fehlten, außerdem drohte die Stadt wegen der vielen Wegzüge zu vergreisen, wie sie es damals nannten.
Wir jungen Leute wurden ermutigt, als Arbeitskraft zu helfen. Da ich ausgelernt hatte, meldete ich mich. Ich war eine der ersten und kam mit dem Zug (Paris-Warschau) von Köln kommend am Bahnhof Zoo am Morgen des 30. Dezembers 1961 an.
Ich hatte weder ein Zimmer noch eine Arbeitsstelle. Es war ein großes unsicheres Wagnis. Nur über einen Leserbrief im Kölner Stadtanzeiger hatte ich ein junges Ehepaar kennen gelernt, die mir nicht glauben wollten, dass ich tatsächlich kommen würde. Berlin stand damals in Westdeutschland nicht hoch im Kurs. Ich besorgte mir ein möbliertes Zimmer, es gab viele damals, und wurde von den beiden zu ihrer Silvesterfete eingeladen, da tanzte ich mit dem jüngeren Bruder und schon hatte ich einen Freund. Dieser Gymnasiast, mit dem ich 1962 viele Theatervorstellungen besuchte, wurde später der berühmte Professor der Schwarzwaldklinik, ich hatte bis zu seinem Tod vor einigen Jahren Kontakt zu ihm, das letzte, was wir gemeinsam machten, war die Ausstellung über Königin Luise im Charlottenburger Schloss zu besuchen und mit seinem Sohn eine Schiffstour zu machen.

Natürlich wurden damals zunächst mal Busfahrer benötigt, oder Krankenschwestern, oder auch Näherinnen, denn die bundesrepublikanische Kleidung wurde zu einem Großteil von DDR-Näherinnen in Westberlin hergestellt. Das war über Nacht abgebrochen. Ich war von 1962, da ich schon in Köln in einer Buchhandlung arbeitete und die Buchführung machte, bis 1974 Buchhändlerin und Buchhalterin in Kudamm-Buchhandlungen. Ich ging auf die Abendschule und machte das Abitur nach, ab 1970 studierte ich und arbeitete danach an der Freien Universität in Dahlem.
Die ersten Jahre nach dem Mauerbau waren sehr schwer in Westberlin zu ertragen, die Menschen waren geknickt. Sie konnten nicht ihre Verwandten im Osten besuchen. Ich hatte durch meinen westdeutschen Pass die Möglichkeit, rüber zu fahren. Ich transportierte für das befreundete Ehepaar Waren zu deren Eltern nach Karlshorst, bis sie dann selber einen westdeutschen Wohnsitz bei Verwandten hatten, sich einen Pass besorgten, und rüber durften.
Ich hatte mich für ein Jahr verpflichtet zu bleiben. Da ich aber die Aufnahmeprüfung auf dem Abendgymnasium bestanden hatte, blieb ich. Eigentlich war meine Aufgabe in Westberlin mit dem Mauerfall 1989 obsolet geworden. Ich machte auch Anstalten, in meine Geburtsheimat nach Böhmen, jetzt CSR, überzusiedeln, weil dort ein Dichter Präsident war. Ich war mittlerweile auch Dichterin geworden. Aber ich wurde krank und blieb in Berlin. Ich studierte noch mal Kunstgeschichte und insbesondere preußische Geschichte und arbeite seitdem als Stadtführerin im Südwesten Berlins, wo ich schon 60 Jahre beheimat bin. Mein bester Freund ist Heinrich von Kleist, den ich oft am Wannsee besuche.


Mehr über diese Zeit in meinen Büchern:
Wo sich Gott und die Welt traf – 50 Jahre Mauerbau, Geest Verlag, 2011;
Die sechziger Jahre:
Der Duft der Bücher, Dittrich Verlag, Weilerswist, 2019.