Katharina Körting: Liquidierung der Vergangenheit. Wie sich die evangelische Kirche auf den Grundlagen ihres Versagens restaurierte (im Abschlusslektorat)

Katharina Körting

Liquidierung der Vergangenheit.

Wie sich die evangelische Kirche auf den Grundlagen ihres Versagens restaurierte

Geest-Verlag 2021

ISBN 978-386685-831-2

14,00 Euro

Lebendige Erinnerung -- Bücher gegen das Vergessen"
(als Gegengift gg die (vorgestäuschte) Geschichtsvergessenheit der AfD und anderer rechter Populisten)
Ein Projekt in Kooperation mit Kultur vor Ort e.V., Berne


Man sagt, es gibt helle und dunkle Kapitel in der Geschichte. Es gibt die Guten, Hellen und die Schwarzen, Bösen. Und es gibt die Vielen, ohne die nichts funktioniert, auch keine Diktatur. Sie stellen sich ins vielschattige Grau dazwischen, mal heller, mal dunkler. Auch ich bin so ein Mittelmensch, europamittig, zwi-schen Vernunft und Verklärung und Sorge. Ich bin eine Deutsche, die nicht jüdisch, sondern Christin ist: ein Zwischending aus Ho-locaust-Last und Nicht-Täterin, zwischen Stolpersteinputzen und deutschem Gedächtnis-Versagen, zwischen Lübcke und Weizsäcker, Walser, Steinmeier; zwischen Luther und Kant, die gegen die Juden waren, wie so viele gegen die Juden waren – das war damals so.
Als ich in der Schule vom „Dritten Reich“ hörte, wollte ich sein wie Sophie Scholl. Doch seitdem lerne ich, dass es darauf an-kommt, ohne Helden stark zu sein. Und dass man dazu über die eigenen Schwächen reden muss, auch über die Taten und Unter-lassungen des eigenen „Volkes“, der eigenen „Nation“ oder wie auch immer man das Deutschsein, um das man nicht herum-kommt, bezeichnen muss oder darf. Man hätte früher reden müs-sen über die NS-Zeit, bevor alle tot sind, die hätten reden können, in den Familien wie in den Kirchen. Dieser Text will niemanden – billig aus sicherer Entfernung - anklagen, weil er dabei war und innerhalb dieses Dabei Entscheidungen traf, die ich vielleicht auch getroffen hätte. Aber der Text wirft vor, dass über dieses Dabeisein kaum jemand in der Kirche aufrichtig gesprochen hat – und auch bis heute nicht spricht. Der Text wirft vor, dass die Kirche als Institution sich reinwaschen wollte von all dem braunen Dreck, ohne ausreichend zu reflektieren und öffentlich zu thematisieren, inwiefern sie selbst den Dreck mit verursacht und geworfen hat.
Das Wort „Kirche“ verwende ich im Folgenden im womöglich unzulässig vereinfachenden Singular, das mir notwendig scheint, um überhaupt über diesen Komplex sprechen zu können. Dabei ist jeweils mitzudenken, dass die Kirche sich in unzählige Gruppen aufteilt, dass es Unterschiede gibt, natürlich, zwischen Pfarrern und Juristen und einfachen Gläubigen, zwischen Kir-chenleitungen, in Kirchenleitungen, ja sogar in den einzelnen Individuen mit ihrer jeweiligen Widersprüchlichkeit. Vor 1945 gab es in Deutschland 28 Landeskirchen, darunter waren lutheri-sche, unierte und reformierte, und die größte unierte Kirche – die Evangelische Kirche der altpreußischen Union (ApU), die es heute nicht mehr gibt, war noch dazu in acht Kirchenprovinzen unter-teilt. Dieser Text ist unvollständig und mitunter auch ungenau, schon der „Kirchenkampf“  als solcher – der ja gar nicht das The-ma dieser Arbeit ist – zeigt sich als kaum durchschaubarer Wust, der wohl historisch noch nicht durchdrungen ist – auch deshalb nicht, weil die Bereitschaft der Kirche, sich mit den Teilen ihrer Vergangenheit zu beschäftigen, die von den strahlenden Helden absieht, nicht groß ist. Ich werfe also einzelne Schlaglichter auf Personen und Ereignisse, um zu zeigen, wie die politische Kom-munikation der Kirche gewirkt hat, so dass sie systematisch versagt hat im Umgang mit der eigenen Geschichte kam.
Dies ist kein Text über den kleinen protestierenden Widerstand, sondern über das große protestantische Schweigen vor 1945, und das Verschweigen dieses Schweigens nach 1945.
 

Katharina Körting, schreibt Prosa, Lyrik und journalistische Texte, lebt in Berlin. 2018 erschien der politische Roman „Rotes Dreieck“ im Bonner Kid Verlag, 2019 folgte „Mein kaputtes Heldentum“ bei Marta Press Hamburg. Im selben Jahr erhielt sie den Sonderpreis „Bester Essay“ der Siebten Berner Bücherwochen. 2020 berief man sie in die Jury des Ulrich-Grasnick-Lyrikpreises. Demnächst erscheint im Geest-Verlag der Essay „Liquidierung der Vergangenheit. Wie sich die evangelische Kirche auf den Grundlagen ihres Versagens restaurierte“.

Veröffentlichungen u. a. in:

Das Gedicht, Dichtungsring, edition fza, Entwürfe, erostepost, Geest-Verlag, GYM, Hammer + Veilchen, Konkursbuch, konzepte Zeitschrift für Literatur, Mosaik, neolith, Palmbaum, Poesiealbum neu, Prolog, Rotbuch-Verlag, schreibkraft, Signaturen, Sterz, verlag für berlin-brandenburg (vbb), VHV Verlag, ZERO