Katharina Kohm: Phosphor. Ein Übergeben. Mit Bildern von Ruth Tesmar und einem Nachwort von Nora Gomringer

Eine ganz besondere Freude ist es uns, den neuen Gedichtband von Katharina Kohm (München/Frankfurt/Vechta) in Kürze herausbringen zu können, zumal gestaltet mit Bilder von Ruth Tesmar und einem Nachwort von Nora Gomringer

daraus ein erster Eindruck:

 

1.    Abgang

Du trinkst kalt gewordene Kräuter aus Schalen und
wartest auf eine Fährte,
die durch den Magen läuft, geht, auf Resonanz stößt,
eine Spur durch die Eingeweide auslegt,
durch den Rumpf und das Dickicht darin,
eine Teeblätterlese am Rückgrat entlang geschritten:
Der Teeweg, ein Wegweiser.

Du wartest abends in der Bahnhofshalle auf einen Zug,
nur mit weniger Zeit, mit weniger Kraft im Kiefer watest
du durch den Sumpf der Uhren.
Du wartest auf eine angstfreie Stunde, in der du schnell
aufspringen könntest, auf einen Anschlusszug,
eine Unke bist du, wie du da sitzt, Feuerkröte in der
Schreckstellung, ohne dass sie es merkt, willst du
entkommen; wohin ist beinahe egal, Hauptsache sie folgt
dir nicht übers Gleis bis heim, bis du wiederkommst.

Du sitzt mit der Hand da, mit der linierten,
beschriebener Schwimmlappen,
die so vieles abgreift, umdreht, aufbläst, heute.
Die hat Memoiren geschrieben; auf diese Häute,
in Haare, zwischen Lippen – durch Orte
hat sie durchgegriffen, Fähnchen aufgestellt, Worte,
X-Fähnchen abgesteckter Moment auf das Heute,
den Rasen,
gekippte Gatterzäune am Gleis,
in Gras beißen, ein zaghaftes Hissen,
Lispeln, Quaken am Grat,
ich bin da,
ein Spreizen,
Fingerspagat
reicht nur von A bis Ä auf der Tastatur.

Sie, die Hand wars, wir an ihr, wir hingen ja nur daran,
lebten davon,
von der Hand in den Mund.
Das Gerümpel, das überall rumsteht, Träume von
Zukunft; Orte, zergehen noch zwischen den Zähnen;
ganze Städte stehen in den Eingeweiden voll Stimmen,
verträumen die Zeit, ohne sich für einen Zug zu
entscheiden. Im Unkenreflex zieht Tee, stehende
Gewässer, in denen wir leben, schlürfen.
Bis in den Enddarm bestehen wir aus Unverdautem,

aus potentiell dazwischen Gedichtetem,
aus

Harz

 


Nora Gomringer schreibt im Nachwort zum in Kürze erscheinenden Gedichtband 'Phosphor' von Katharina Kohm

Katharina Kohm kann beschwörerische Gedichte schreiben, bei deren Lektüre man an Zaubersprüche in der Merseburger Sammlung denkt. Präzise Rezepturen zum Weltverständnis, zum Ausdruck des Staunens und zur Übersetzung der Sezierarbeit von Auge und Geist. In der Sparsamkeit kurzer Verse und der Lyrik von längeren in Prosaminiaturen ist die Sprache eine genaue Reduktion und ruft doch ganze Erdzeitalter auf, wenn die Dichterin vom Anbruch des „Hauchjahrs“ schreibt und prophezeit: „Irgendwann/wächst Bernstein/um den Hals, später;“.

Kohm, Katharina
PHOSPHOR,
ein Übergeben
Mit Grafiken von
Ruth Tesmar
und einem nach Nachwort von
Nora Gomringer
Geest-Verlag 2019

© 2019 Geest, Vechta

ISBN 978‐3‐86685-722-3