Petra Schomaker, Die gedeckelte Hilfe oder eine Akte rät

 

 

Petra Schomaker, Schweier-Außendeich
Die gedeckelte Hilfe oder eine Akte rät

Da war sie nun, im Büro von Direktor Höfers, allein. Einfach stehen gelassen hatte er sie, bevor sie ihr Anliegen richtig zu Ende gebracht hatte. Sogar die Tür hatte er hinter sich geschlossen.

Das dunkle, wuchtige Mobiliar schüchterte sie ein. Unruhig rutschte Tila auf dem unbequemen Besucherstuhl hin und her. Gedämpft drangen die Geräusche der Nähmaschinen aus der Fertigungshalle der Schuhfabrik Höfers an ihre Ohren. Für Maria Mechtilda, genannt Tila, klang es fast wie Musik, sie mochte dieses Surren und Schnurren, fühlte sich wohl inmitten der anderen Mädchen, auch wenn die Verständi-gung schwierig war – denn die meisten waren Zwangsarbeite-rinnen aus Polen.

Wo er nur blieb? Wenn er sie hätte aussprechen lassen, eine kurze Antwort hätte genügt, und sie wäre schon wieder bei der Arbeit.

Sonst war Herr Höfers doch so schnell bei der Hand. Wie da-mals, als es das krabbelnde Problem gab. Die Polinnen waren zu ihr gekommen und hatten sich die Haare gerauft. Dabei hatten sie immer wieder „Wszy“ gerufen. Ohne das Wort zu verstehen, hatte sie schnell begriffen, im Lager waren Kopf-läuse ausgebrochen.

Es hielt sie nicht länger auf dem Stuhl. Sie begann, durch das Büro zu wandern.

Der Chef hatte damals die Szene beobachtet. Am nächsten Tag wurde sie zur Geschäftsleitung zitiert. Mit zitternden Knien folgte sie der Aufforderung. Hier, in diesem Raum, wurden ihr dann Flaschen mit einen Läusemittel überreicht mit der Aufforderung, sich um das Problem zu kümmern. Mit einem freundlichen Lächeln hatte er damals gesagt: „Fräulein van der Venne, nehmen Sie sich der Angelegenheit an. Es geht schließlich um die Leistungsfähigkeit der Fabrik. 120 Armeestiefel müssen täglich gefertigt werden.“

Wo er nur war? Ein Blick aus dem Fenster brachte auch keinen Aufschluss über die Verzögerung.

Als Tila sich vom Fenster abwandte, fiel ihr Augenmerk auf eine dünne blaue Akte. Hatte die da schon die ganze Zeit gelegen? So mittig auf dem Schreibtisch „ihres“ Direktors? Die Aufschrift „Geheim“ machte ihr Angst, weckte aber auch ihre Neugier. Mit spitzen Fingern hob sie den Aktendeckel hoch und las:

>Anweisung der Gauleitung: Ausreisewillige Fremdarbeiter/innen sind ab sofort zu melden. Spätestens an den Grenzen sind sie abzu-fangen, zwecks  Einsatz in den Munitionsfabriken.<

Schwere Schritte kamen näher. Tila ließ den Aktendeckel fallen. Ihr Blick ging zur Tür.

„Entschuldigung, aber die Angelegenheit duldete keinen Aufschub.  Wie war das, Fräulein van der Venne, Sie möchten also wieder in Ihrer Heimat arbeiten?“ Direktor Höfers lächelte sie freundlich an. „Meine Schwester könnte mir Arbeit in Rotterdam besorgen, aber ich denke, ich bleibe hier, bei meinen Eltern. „Das wird ihre Eltern freuen, und mich auch.“

Ein Lächeln musste in diesen schwierigen Zeiten als Dank ausreichen.