Presse berichtet intensiv und würdig über Volker Issmers 'Geschichten vom Fluss'

JUSTUS MÖSER UND DER REGGAE JAM

Osnabrücker Autor Volker Issmer legt Buch über den „Kulturraum Hase“ vor
Von Joachim Dierks

Osnabrück. Der Osnabrücker Buchautor Volker Issmer ist einerseits für seine Beiträge zur Aufarbeitung der regionalen NS-Geschichte bekannt, andererseits auch mit historischen Romanen hervorgetreten. In seinem neuesten Werk „Geschichten vom Fluss“ beschreibt er episodenhaft den Kulturraum um den Hase-Fluss.
Die Hase ist 169,06 Kilometer lang, von ihrer Quelle am Nordhang des Teutoburger Waldes bis zur Mündung in Meppen in die Ems, erfahren wir gleich zu Beginn. Issmer geht es nun nicht darum, sich sklavisch an den Flusslauf zu halten und Kilometer für Kilometer davon abzuarbeiten. Vielmehr springt er von einem Ort, der ihm beachtenswert erscheint, zum nächsten, dabei durchaus auch mal das Hasetal verlassend, sich aber stets im Einzugsbereich des Flusses und seiner Nebenflüsse bewegend.
Der Autor verknüpft geografische Beschreibungen mit Sagen und Geschichten, die man sich vor Ort erzählt, mit eigenen, teils sehr persönlichen Erinnerungen, flicht dabei immer wieder geschichtliche Fakten ein. So stößt er etwa in Ledde auf ein verfallenes Heilbad, in Velpe auf den Maler Gustav Künnemann und in Lotte-Wersen auf das Grab des Theologen und Nazi-Gegners Martin Niemöller. Er erinnert aber auch an einen aus Westerkappeln stammenden KZ-Schergen, der im Treblinka-Prozess 1965 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, 1987 starb und auf dem Friedhof in Lotte begraben liegt.

 Geest-Verlag
 
Fiktive Begegnung mit Justus Möser
Weitere Orte, zu denen der pensionierte Gymnasiallehrer, promovierte Historiker und Bürgermedaillenträger der Stadt Osnabrück etwas aufgeschrieben hat, sind etwa das verschwundene Kreuzherrenkloster Lotte-Osterberg, der Habichtswald und sein verbotener Pilzreichtum, die ehemaligen Klöster zu Leeden und Kloster Oesede, die Wasser des Hüggels und rund um Marienheim und Mühle Sutthausen. Issmer erinnert daran, wie eine an sich unbedeutende Mühle an der Düte, nämlich die des Meyerhofs zu Heringen in Hellern, eine Rolle in der Weltpolitik spielte, wie die Pernickelmühle in Osnabrück und die „Wasserproben“ im Zuge der Hexenverfolgung zusammenhängen, wie Karl der Große und Widukind das Haler Feld zu einem Schlachtfeld machten.
Auf der Hasebrücke neben dem ehemaligen Kloster Bersenbrück erlebt der Leser eine fiktive Begegnung mit Justus Möser, der sich geistreich über die Förderung der Landwirtschaft und des Handwerks im Hochstift äußert. Befragt zum Reggae-Jam-Festival muss „Möser“ passen, weiß das Beschriebene gleichwohl einzuordnen: „Je roher der Mensch ist, desto mehr sucht er den Ausdruck der Bewegung. Daher lieben die Wilden den Tanz so sehr.“ Und wundert sich nachhaltig, warum die jungen Menschen nach Klängen aus weit entfernten Regionen tanzen und nicht nach dem überkommenen Liedgut um die Tanzlinde herum, wie sich das gehört.
Mühlen, Klöster, Herrensitze
Durchgängige Themen sind das gemeinsame Auftreten von Wasser, das Mühlen antreibt, und Klöstern und Adelssitzen. Die kunstvollen Fotos von Uwe Lewandowski ergänzen die Beschreibungen der eher verborgenen Schönheiten von altem Gemäuer, Wasserläufen und Naturräumen in eindrucksvoller Weise.
Aber nicht nur Kirchen und Klöstern ist die Hase-Niederung Heimat, auch Künstlern, insbesondere Malern, wobei Issmer auf Gustav Künnemann, Franz Hecker, Felix Nussbaum und Axel Gundrum näher eingeht. Es ist ein sehr persönliches, subjektives Buch und bezieht gerade daraus seinen Reiz.


Kloster Malgarten
Wenig verwunderlich, schlägt sich häufig Issmers Lebensthema nieder, nämlich das an Zwangsarbeitern begangene Unrecht des NS-Staates. Etwa, wenn er im Kloster Malgarten seine Jugenderinnerungen an die dortigen Pfingsttreffen der Deutschen Jugend des Ostens (DJO) schildert, an denen er als Vertriebenen-Kind mit deutschtümelnder Überzeugung teilnahm, gleich darauf aber das Schicksal der Zwangsarbeiterin Hanna schildert, die im nahegelegenen Sögeln auf Bauernhöfen Dienst tun musste und, als sie schwanger war, zur Abtreibung genötigt wurde. Über seine innere Wandlung sagt Issmer: „Später hatte ich wohl das Gefühl, etwas ‚zurechtrücken‘, dabei mithelfen zu müssen, dass die Wahrheit über die Nazizeit, den Krieg und die Folgen ans Licht kommt.“

LITERATURHINWEIS
Volker Issmer: „Geschichten vom Fluss. Der Haseraum in Wort und Bild“ (Schriften zur Kulturgeschichte des Osnabrücker Landes, Band 24), Geest-Verlag 2020, 315 Seiten,16,80 Euro.

NOZ 21.02.2021