Presseberichtet über Schreibprojekt an der GS Ganspe

 

Neues Schreibprojekt für Grundschüler

 
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Die „Goldene Regel“ ist so etwas wie der Kategorische Imperativ des Immanuel Kant für den Alltagsgebrauch und der vielleicht bekannteste Grundsatz der praktischen Etik: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ In der Grundschule Ganspe spielt diese Regel zurzeit eine ganz besondere Rolle, denn sie ist das Thema ihres neuen Buch- und Schreibprojekts im Rahmen der Berner Bücherwochen 2019. Im Herbst soll das Buch mit Texten der Erst- bis Viertklässler im Geest-Verlag erscheinen. In dieser Woche wurden sie verfasst. Doch zunächst ging es um die Bedeutung der Goldenen Regel. Um sie zu erklären, hatte die Schule sich Verstärkung eingeladen.

Eine ehemalige und zwei aktuelle Lehrerinnen, der Pastor, der Bürgermeister und der Verleger Alfred Büngen: Auf der Bühne der Grundschule erzählten sie davon, wie sie als Kinder gegen die Goldene Regel verstießen und was sie daraus gelernt haben. Sie schäme sich noch heute dafür, begann Pädagogin Andrea Klaaßen, wie sie als Kind versuchte, sich endlich mal bei einem Streit mit ihrer älteren Schwester durchzusetzen. Ihre Schwester sollte über eine gespannte Schnur stolpern und die Treppe hinunterfallen. Dazu kam es nicht, weil die Schwester die Falle bemerkte. Um sich zu schämen, reicht Andrea Klaaßen das Wissen, sich den Treppensturz der Schwester sehnlichst gewünscht zu haben.

Pastor Ingmar Hammann, Verleger Alfred Büngen und Lehrerin Ute Lange erzählten davon, wie sie sich als Kind Geld oder Spielzeug genommen haben, das ihnen nicht gehörte. „Ich habe keinen Moment Freude daran gehabt“, sagte Ute Lange in Erinnerung an das weinende Mädchen, dem sie ein kleines Feuerwehrauto wegnahm, weil sie selbst unbedingt damit spielen wollte. „Ich habe mich so geschämt.“ Zwei Tage später musste sie sich in Begleitung ihrer Mutter bei dem Mädchen entschuldigen.

Alfred Büngen hatte die Bonbons, die er sich vom gestohlenen Geld seiner Eltern gekauft hatte, am Ende weggeworfen, so als wäre nichts passiert. Pädagogin Erika Siems-Hoffmann lernte die Bedeutung der Goldenen Regel auf ganz andere Weise kennen. Gleich mehrmals waren die Reifen ihres Fahrrads zerstochen worden, und sie musste nach der Schule die drei Kilometer nach Hause zu Fuß gehen. Bei Bürgermeister Hartmut Schierenstedt mussten die Eltern zweimal eingreifen, damit ein Mitschüler aufhörte, ihn regelmäßig auf dem Heimweg von der Schule zu ärgern und er aufhörte, den Mitschüler ebenso regelmäßig dafür zu verhauen.

Gemeinheiten unter Geschwistern, etwas nehmen, was einem nicht gehört, einen anderen ärgern oder schlagen: Vieles davon kennen die mehr als 100 Schülerinnen und Schüler, wie sich während der lebhaften Gespräche zwischen den Geschichten zeigte. Kaum hatte ein Erwachsener seine Geschichte beendet, wurden unzählige Finger in die Luft gereckt, weil die Kinder ihre Fragen und Gedanken dazu los werden wollten. „Hättest du deine Schwester auch die Treppe hinunter geschubst“, wollte ein Schüler wissen. Ein anderer bekannte, seine Schwester tatsächlich mal die Treppe hinunter gestoßen zu haben.

Auch viele andere Fragen („Wie heißt deine Schwester?“, „Leben deine Eltern noch?“) zeigten, wie interessiert die Kinder bei der Sache waren. Schulleiterin Beate Petter lobte denn auch, wie leise und konzentriert die Schüler zuhörten. Die Geschichten hätten sehr gut für Kinder im Grundschulalter gepasst. „Dazu hat jeder etwas zu sagen.“

Am zweiten Projekttag ging es um die Erlebnisse der Kinder. Für den „Schreibtag“ hatte sich Alfred Büngen verschiedene Schreibstationen mit konkreten Aufgaben ausgedacht. An einer Station ging es um Situationen, in denen sie ein anderes Kind gehauen oder geschubst haben, wie sie sich dabei fühlten und wie die Situation ausgegangen ist. An den anderen ging es ums Petzen, um Beleidigungen, um Ausgrenzung („Ich will nicht, dass der mitspielt“) und um das Einschreiten, wenn sich andere prügeln. Es ging darum, was andere Kinder, aber auch Erwachsene Kindern nach Meinung der Kinder niemals antun sollten. An der ersten Station wurden in kleinen Gruppen Geschichten verfasst, in denen ein Kind zu unrecht beschuldigt wird, einem Mitschüler einen Bleistift gestohlen zu haben. Dabei standen drei Varianten zur Auswahl, wie die Geschichte verlaufen könnte: In der einen beschuldigt das Kind seinerseits einen Mitschüler, den Bleistift genommen zu haben. In der zweiten forscht es so lange nach, bis es den tatsächlichen Dieb gefunden hat. In der dritten Version wird dem Schüler, der die falsche Anschuldigung verbreitet, Prügel angedroht.

Am Schreibtag waren auch frühere Schüler der Grundschule beteiligt. Für das Buchprojekt kehrten die Siebt- und Achtklässler der Oberschule Berne noch einmal zurück nach Ganspe, um die Erstklässler beim Aufschreiben ihrer Geschichten zu unterstützen. „Das funktioniert sehr gut“, wusste Schulleiterin Petter schon aus früheren Projekten. Denn das Buch- und Schreibprojekt über die Goldene Regel hat schon mehrere Vorläufer.

In „Heuerjunge Fiet“ ging es um das Leben von Heuerkindern in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Zeitzeugen erzählten darüber, wie sie gelebt haben, als Fernseher, Handy und ein eigenes Zimmer kaum denkbar waren. Ein andermal schrieben die Grundschüler für das Buch „Ganspe erzählt vom Winter“ über ihre eigenen Erlebnisse und fragten Erwachsene, Eltern, Großeltern und andere nach deren Erlebnissen im Winter, um darüber zu schreiben.

Für Schulleiterin Petter sind Projekte wie diese eine willkommene Gelegenheit zum gemeinsamen Arbeiten in Gruppen und zum Austausch mit anderen Schulen, zur Beschäftigung mit konkreten Problemen und mit Worten. „Das ist eine ganz tolle Sache“, lobte Schulleiterin Petter das Buch- und Schreibprojekt im Rahmen der Berner Bücherwochen. Die Schüler würden nicht nur Aufsätze schreiben, sondern auch erfahren, was aus dem Schreiben entstehen könne.