Schreibwerkstatt des Gymnasiums Antonianum begeisterte bei Ihrer Buchpremiere von 'Wetter am Freitag'

Ein bemerkenswerte Buchpremiere legte am gestrigen Abend die Schreibwerkstatt des Gymnasiums Antonianum hin. Zahlreiche Besucher sparten nicht mit Beifall und ließen sich anschließend das nunmehr siebte Buch der Schreibwerkstatt signieren.

 

 

 

 

„Ich ertrinke an Deinem Wasser/bis es mich gänzlich füllt.“
Zur Faszination eines jugendlichen Schreibens
Alfred Büngen

Junge Menschen zu ihrer eigenen Sprache fin-den lassen, das ist das erklärte Ziel von Schreibprojekten, Schreibwerkstätten und Schreibaktionen, die mit Unterstützung oder durch den Geest-Verlag selbst stattfinden. Mit der Schreibwerkstatt des Gymnasiums Antoni-anum und deren Leiter Olaf Bröcker verbindet uns eine lange Traditionslinie. Es ist bereits das siebte Buch einer Schreibwerkstatt an diesem Gymnasium, einer Schreibwerkstatt, die in un-terschiedlicher Teilnehmerstärke außerhalb des normalen Schulunterrichts jeden Freitagnach-mittag stattfindet. Neben den Sammelbänden haben es bereits einige Mitglieder der Werkstatt geschafft, mit eigenständigen Büchern in die Öf-fentlichkeit zu treten. Zudem gab es einige be-sondere Schreibprojekte der Gruppe, wie etwa einen mehrtägigen Schreibaufenthalt in der Ge-denkstätte Ravensbrück und ein halbjähriges gemeinsames Schreibprojekt mit dem Dammer Hospizverein. Mit Julia Meisinger und Emma Lüers sind in diesem Buch zwei Autorinnen der Schreibwerkstatt mit einer eigenen Veröffentlichung von Lyrik und Kurzprosa auf dem lite-rarischen Markt vertreten.
Die Schreibwerkstatt-Arbeit der letzten 15 Monate stand unter dem Zeichen der Pandemie. Das für alle Teilnehmer so wichtige Freitagtref-fen, sozusagen, um den Titel des Buches aufzu-nehmen, die Wetterdiskussion am Freitag, fand nur teilweise und unter zumeist besonderen Be-dingungen statt. Dies förderte sicherlich die He-terogenität der entstandenen Texte, die Unter-schiedlichkeit der Formen und Denkmuster, die sich in den Texten zeigen. Einigendes Moment aller Autoren ist allerdings der literarische Kurztext. Erst einer der ehemaligen Schreib-werkstatt-Autorinnen, Katarina Klein, gelang es jetzt nach etlichen Jahren ihrer Schreibtätigkeit in der Schreibwerkstatt, mit einem Roman über das Leben ihrer russischen Großmutter einen literarischen Langtext zu veröffentlichen.
Der literarische Kurztext korrespondiert mit der Aufgabenstellung, junge Menschen zu ihrer jeweils individuellen Sprache führen zu wollen. Schreiben schafft die Möglichkeit, eigene Gefühlslagen, Denkansätze  und Problemstellun-gen zu analysieren. Es geht nicht darum, junge AutorInnen herauszubilden, ihnen literarische Formen und Möglichkeiten zu eröffnen, sondern ihnen die Möglichkeit zu bieten, eigene Formen zu entwickeln, eine eigene literarische Sprache zu entdecken, ihnen damit die Möglichkeit zu geben, ihr eigenes Ich in der sprachlichen Aus-einandersetzung mit Welt zu entwickeln. Literatur mit ihren sprachlichen Möglichkeiten bietet die Chance, sich und andere neu und anders und wesentlich wahrzunehmen, anderen dazu auch Wege zu ebnen, wenn sie sich auf das Entdecken durch sprachliche Bilder einlassen. Uns erwachsenen Lesern bietet der Band nicht allein die Möglichkeit, das Welterkennen junger Menschen zu verstehen, sondern auch die Chance, eigene Weltsicht und Identität zu reflektieren.
Unterschiedlich ist dabei das ‚sprachliche‘ Wag-nis der jungen AutorInnen in der Auseinander-setzung mit anderen und der Wirklichkeit. Sa-rah Freese zum Beispiel beschreibt es an einem Bild des schaukelnden Mädchens so: „Mit den Zehen tippt es bei jedem „Vor“ die Sonne an, aber immer nur kurz, um sich nicht zu verbren-nen …“ (S. 147) Luisa Krieger hingegen, mit mehr und längerer Schreiberfahrung, ist sich bereits sicher, dass durch die Textarbeit eine Horizonterweiterung erfolgt: „… vielleicht wird dann auch dein Horizont breiter,/ansonsten hol ich dir ne Leiter,/dann wird er zumindest höher,/ das ist ja auch irgendwie größer.“ (S. 11) Im literarischen Text selbst fühlt Rieke Freese die Entdeckung des besonderen Elements einer eigenen Identität: „Und er fühlte vollkommen, spürte etwas Bedeutsames auf dieser bis in alle Runden mit Sinnlosigkeit gefüllten Erde …“ (S. 12) Nike Gritzka beschreibt den Mut, den Schreiben verleihen kann: „… sie klammert sich fest in die rauen Schuppen und sie stürzen sich in die grauen Wolken.“ (S. 18)
Schreiben ist für alle die Suche nach einer Wirklichkeitserkenntnis. Ich „spürte dich irgendwo als Kopfstimme schweben“, fasst Helena Götting den Schreibprozess in ein erklärendes Bild. (S. 26) Julia Meisinger verdeutlicht das Schmerzhafte des Schreibprozesses, der un-ausweichlich sein muss: „… lächerlich ist es/am strand zu sitzen/sandburgen zum schutz zu bauen/wo es keinen geben kann.“ (S. 75) Damit ist zugleich erklärt, warum zahlreiche der Texte sich intensiv mit Schmerz auseinandersetzen, mit Tränen. Sarah Freese fasst es wie andere der jungen AutorInnen dieses Bandes in wunderbare Bilder: „… wo sich Tränen und Lächeln vereint/ Dort, wo stilles Strahlen trifft auf klim-perndes Klopfen/ Küsst sich triste Trauer bunter.“(S. 79) Schreiben im bunten, positiv erleb-ten Prozess einer Weltwahrnehmung, einer Welt, die für alle gleichwohl immer noch positive Elemente zu beherbergen scheint.
Emma Lüers umschreibt es in ihrer wunderbar symbolischen Geschichte so: „Ruhig betrachte ich den Teller vor mir, rieche den Apfelzimtge-ruch und fühle mich ein bisschen glücklicher. Ich bin mir sicher, nach dem Essen finden wir einen Weg.“ (S. 106)
In ihrem Schreiben sezieren die jungen AutorInnen die Nebel dieser Welt, versuchen, sich Orientierungselemente zu geben. Seray Arduc erfasst in ihrer ‚Brillengeschichte‘ die elementare Möglichkeit des literarischen Schreibens: „Vielleicht willst du aber die Gläser anfassen, damit du ein Gefühl von Gefühlen bekommst und dir vorstellen kannst, was Rot überhaupt ist.“ Sich und anderen die Möglichkeit geben, das Ursprüngliche, das Wichtige zu erfassen, „Klartext“ zu reden, zu schreiben, wie Ida Bergen es in ihrem fast programmatisch-dadaistischen ‚Unklartext“ nennt: „… weil es zu einfach ist, einen Raum still zu lassen.“
Nein, diese jungen AutorInnen belassen es nicht bei einer beschreibenden Welt, sie befinden sich in einem Austauschprozess mit sich selbst und mit anderen gegenüber dieser Welt. Und dabei entdecken sie für sich und den Leser immer wieder positive Elemente einer Wirklichkeit die trotz Corona und anderer Nebelfetzen positive Momente zeigt. „Wärme berührte ihre Wangenknochen und eine schmutzig grün gefärbte Strähne löste sich aus der Kapuze und blieb zwischen dem niederprasselnden Regen und ihrem Lächeln hängen.“ (Ragan Virnich, S. 91 f.)
Paulus Götting, der in seinen teilweise absurd ironischen Texten eine Wirklichkeitserfassung betreibt, skizziert die Unwirklichkeit der vorge-gebenen literarischen Form für sich und zeigt zugleich sein reales Erfassen an: „Ihr wollt mich doch wohl alle verarschen, oder?! Jetzt mal im Ernst, das kann doch echt nicht so schwer sein! Ein Kilogramm Abpackungen, königlich purpurrote Ummantelung, ästhetisch-heroisches Emblem auf der vorderen Seite, Inhaltsstoffe auf der rückwärtigen! Herrgott, was soll ich euch denn noch beschreiben?! 1 € das Stück … von Aldi verdammt noch mal! Ich will doch nur die geilen Spekulatius von Aldi haben und du kommst mir hier wieder mit irgendeinem Schund aus dem Feinkostladen an …“ (S. 101)
Vor uns liegt ein Band junger AutorInnen, der in seiner sprachlich-inhaltlichen Brillanz – ein besonderes Beispiel ohne andere dadurch herab-zuwürdigen etwa Luisa Kriegers Text ‚Vom Fantafischen‘ (S. 109) –, erneut die Frage stellt, warum jungen Menschen oftmals die literarische Fähigkeit abgesprochen wird. Zahlreiche der Texte in diesem Buch würden zweifellos den Weg in jedes Lesebuch finden, haben sie doch eine sprachlich-inhaltlich Kraft, die für jeden, auch den erwachsenen Leser, eine Herausforde-rung und zugleich Bereicherung ist. Mit Nike Gritzka möchte ich diese kurze Beschreibung des Bandes mit einer Hoffnung an Lesende aus-klingen lassen, die sich mit den jungen AutorInnen auf die Entdeckung von Wesentlichem mit-nehmen lassen: „Noch schüchtern lacht das Meer zurück und sie beschließt, dass es an der Zeit für eine kühle Umarmung ist.“