Stimmen zum Buch und zur Buchpremiere Barbe Maria Linke: Wege die wir gingen

 

 

Stimmen zum Buch und zur Buchpremiere Barbe Maria Linke in der Böll-Stiftung in Berlin: Wege die wir gingen

 

 ... es war eine - wie ich es empfand - sehr, sehr gelungene Veranstaltung im Böllhaus. Bereits Deine beiden vorgetragenen Portraits sind mir sehr "unter die Haut" gegangen und meine Erinnerungen an die Zonen-Zeit wurden wieder wach und auch heute gegenwärtig, wenn ich nun weiter lese. Das ganze Ausmaß des damals Er- und Durchlebbaren kannte ich ja garnicht. So etwas darf nie vergessen werden! Du hast mir unsere (ähnlich verlaufende) Lebenzeit zwischen den beiden "Säulen" mit den Davor und Danach sehr eindrucksvoll nahe gebracht, das ist Deine KUNST, danke.

 

... nochmal danke für die Einladung, dass ich gestern mit dabei sein durfte.
War ein rundum gelungener Abend, fand ich - zwei interessante Lebensläufe, ein gut moderiertes, interessantes Gespräch und viele Leute im Publikum.

 

 

Zur sächsischen Premiere des Buches von Brbe Maria Linke in Hoyerswerda:

 

 

Sprich, damit ich dich sehe      

                                                                                                                                                                                       
Am Donnerstag vergangener Woche gestaltete der Hoyerswerdaer Kunstverein die sächsische Premiere des Buches „Wege, die wir gingen“, das jüngst im Geest Verlag Vechta erschien. Barbe Maria Linke, die Autorin, stellte dem Buch und ihrer Lesung  das Zitat von Kofi  Annan, dem einstigen UNO-Generalsekretär, voran:  „… alles beginnt mit einem Traum: jede wegweisende Idee, jede Veränderung. Es gibt natürlich immer wieder Momente, in denen wir zu der bittern  Erkenntnis gelangen, dass unsere Träume an der Realität scheitern können.“                                                                                                                                                                              

Das Buch enthält 12 ausführliche Gespräche mit Frauen, sechs aus Ost- und sechs aus Westdeutschland, beide Gruppen stellen sich gleichen Fragen,  die nicht genannt, aber in den Antworten erkannt werden können. Die vermittelt  eine gewisse Vergleichbarkeit sowohl der Interviews als auch der Gesprächspartnerinnen.  Charakterzüge, Lebenshaltung,  Einstellung zur sowie Engagement in der  Gesellschaft, zu  Partnerschaft, Familie, Beruf können erschlossen werden.  Die Frauen erzählen von ihrem Leben, äußern offenherzig ihre Meinungen zur deutschen Einheit, deren Vorzügen und Nachteilen, und was sie erhoffen.  Das Buch lädt ein,  die eigene Haltung  zu formulieren, lässt Frauen wie Männer über das Leben und über unsere Zeit nachdenken. .                                                  

Barbe Maria Linke stellte bei der Premiere aus  jeder ihrer beiden  Gesprächsgruppen  -Ost und West - ein Interview vor. Da beide Selbstdarstellungen sehr umfangreich waren, folgte sie den Lebensläufen und den Aussagen der beiden zu  Entscheidungen und Haltungen im persönlichen und im gesellschaftlichen Leben.  Dabei wurden Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen den verschiedenen Charakteranlagen, in der gesellschaftlichen  Organisation und im Verhalten der beiden Frauen dazu erkennbar. Barbe Maria Linke kommentierte die Aussagen nicht, bot damit vielmehr weiten Spielraum für das anschließende Gespräch.                                                                                                                                                  

Einige Zuhörer nahmen anschließend das Gesprächsangebot an, erzählten von ihren Lebenswegen, den Erfahrungen, die sie gewonnen hatten und. Dann wandte ich der Gedankenaustausch dem Gehörten zu. Einige hatten unterschiedliche Haltungen in Lebensfragen bei den Partnern  im jeweils anderen Teilstaat beobachtet  und verglichen diese mit den nun im  geeinten Deutschland  gemachten Beobachtungen über deren Fortbestehen oder  deren Wandlungen. Man einigte sich,  dass eventuell erkannte negative Erfahrungen miteinander ebenso wenig  symptomatisch  wären, wie die 16 Interviews  soziologische Schlüsse auf Millionen Frauen in Deutschland zuließen. Spürbar wurde, wie die Trennung gewirkt hatte: Zeitgenossen, die im getrennten Deutschland wenig oder keinen Kontakt zu Bürgern der anderen Seite hatten oder nicht haben durften, empfanden leicht eine gewisse Scheu bei den ersten Begegnungen. Je nach Charakterveranlagung schwand diese unterschiedlich schnell. Tiefere Gräben hatte unterschiedliche Sozialisation – z.B. in den Fragen der Kindererziehung, der Haltung zu Kinderbetreuungseinrichtungen usw. geschaffen – was gegenwärtig allerdings auch zu beobachten ist.  Da in kirchlichen Kreisen der Kontakt von Ost nach West und umgekehrt beharrlich gepflegt wurde – nicht zu politischer Beeinflussung , wie die DDR argwöhnte , sondern zur Pflege gemeinsamer Kulturtradition und zu Familienbindungen, also einer menschlich normalen Haltung - wurden dort andere Lebensweisen schneller und leichter verstanden und akzeptiert, hatten Besucher selbst erfahren.                                                                                                                                                                      

Barbe Maria Linke hatten das Vergleichen  der  beiden Gesprächspartnerinnen, die sie vortrug, dadurch erleichtert, dass sie die Interviews zweier Lehrerinnen vorstellte. Dadurch waren sowohl die unterschiedlichen Bedingungen als auch die  unterschiedlichen Erfahrungen im gleichen Beruf deutlicher erkennbar. Obwohl es auch Stimmen gab, Lehrer hätten in beiden Gesellschaften die gleichen Aufgaben wahrzunehmen gehabt.  Dem wurde entgegen gehalten, dass in den Interviews an mehreren Stellen des Buches von Lehrerinnen geklagt wird, weil die Qualität ihres Unterrichtes daran gemessen werden sollte, wie viel Jungen sie für die Ausbildung zum Offizier in der Volksarmee der DDR geworben hätte, allein das sei schon ein garvierender Unterschied.                                                                                 In dem vorgestellten Interwies aus der DDR wurde von einer Gruppe Studenten in  Jena berichtet, die versuchten  ihre geistige Freiheit  zu geistiger Umschau im Rahmen der DDR-Gesetze zu nutzen, was   vom  SED-Staat mit Rauswurf und Gefängnis geahndet wurde. Bei der Erzählerin aus der Bundesrepublik äußerte sich stark  dagegen für manche Zuhörer stark das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung,  was bei  ihr nicht nur  langwährende Unsicherheit hervorrief, sondern auch zu zeitweiligem Desinteresse an gesellschaftlichen Ereignissen, wie dem Mauerfall  führte.  Diese Haltung sollte nicht einseitig der Gesellschaft angelastet werden, war die Meinung.
Der Ehemann der östlichen Erzählerin nahm dieses Jahrhundertereignis gar nicht wahr bzw. ignorierte es, weil er sich in der Nacht ein in einer Diskussion  mit Gästen aus Frankreich und Italien, die den Eurokommunismus vertraten, und  mit ihm dessen Chancen auf Verwirklichung in der Welt ausloten wollten. Diese Theorien waren ihm wichtiger als der Mauerfall, der das bisherige Weltgefüge veränderte. Die Ideologie war stärker als die Realität.                                                                                                                                                                                             

Das Buch in seiner Gesamtheit bietet vielfältige Diskussionsansätze, die  weniger der Abgrenzung als vielmehr der Verständnissuche für einander dienen. Dabei wäre gewiss die eine oder andere Raffung ohne Aussageverlust denkbar. Insgesamt lädt das Buch  – wie die Lesung zeigte-  zum Dialog  zwischen  Partnern, die dies- oder jenseits der Elbe aufwuchsen,  von anderen Lebenssphären  sozialisiert und von  unterschiedlichen Lebensträumen geprägt wurden.  Der Leser wird angeregt, andere Lebenshaltungen zu akzeptieren und vielleicht auch deren Herkunft zu verstehen. Vierzig Jahre sind  mit einem Federstrich nicht aus dem menschlichen Leben und einer Gesellschaft zu streichen. Daher gilt nach wie vor: Sprich, damit ich dich sehe.                                                                                                                                                                                         

Martin Schmidt